Filmprogramm

Das Tier betrachten

Samstag
15.10.2011
13:00

Kann man Tiere einfach so ansehen, oder hat das Zeitalter der „Okulartyrannis“, als die der Philosoph Ulrich Sonnemann die bildsüchtige Moderne titulierte, unseren Blick so in Beschlag genommen, dass er immer instrumentell bleibt?
Man kann zumindest mit der Kamera erstmal versuchen, ein Tier „nur“ zu filmen. Die Bilder im Film Naturschutz:Tieraufnahmen I, in den Jahren von 1915-20 entstanden, tun das auch. Sie zeigen verschiedene Tiere, meistens Vögel, in ihrer Umgebung im Freien ohne Kommentar. Bedrückend werden sie allerdings durch den Titel. Offensichtlich muss man den Menschen die Tiere zeigen, damit sie verstehen, dass sie bedroht sind. Aus der täglichen Wahrnehmung waren sie schon vor den Bildern verschwunden. Anders ist das bei manchen Fischen. Fische gehören, in Aquarien gehalten, zu den beliebtesten Ziertieren. Der Blick ins Aquarium gleicht dabei sozusagen von Natur aus einem ruhigen Film. Fische sind ständig in Bewegung und blinken schwimmend im Licht mal auf, mal ab. Es ist deshalb kein Wunder, dass viele Pioniere des Tierfilms mit dem Blick ins Aquarium begannen. In A Fish Family, einer Produktion des amerikanischen Moody Institute of Science von 1957, schwimmen die Buntbarsche ruhig im Aquarium, während der Kommentar erläutert, dass hier Vater und Mutter als Team zusammenarbeiten und den Familiendienst wie wir Menschen erledigen. Wir müssen uns eigentlich nur an ihnen orientieren, wenn wir ein „gesundes“ Familienleben mit Mom and Dad and children führen wollen, sagt der Film. Die Natur hat es vorgemacht.
Etwas verschoben ist die Perspektive dann in Pawlows berühmtem Hundelabor in St. Petersburg, das später Leningrad hieß. Bedingte Reflexe bei Tieren (Pawlow) aus den 1920er Jahren macht klar: Mit der richtigen Methode kann man allen Tieren vieles beibringen. Ein Mechanismus, der aber schnell an seine Grenzen stößt Denn wie das Sprichwort so schön sagt: Die Katze lässt das Mausen nicht.
Der Meister der künstlerischen filmischen Insektenkunde Chen Sheinberg macht es klar. In Convulsion zeigt er einen Käfer, der auf den Rücken gefallen ist und deshalb schreit. Der Schrei des Käfers bleibt der einzige Ton des Films, und er ist natürlich echt. Von allein würde der Käfer nie mehr auf die Beine kommen, es sei denn, eine helfende Hand dreht ihn um oder ein heftiger Windstoss tut dasselbe. Sobald wir ein Tier betrachten, kommt ein Unterschied ins Spiel. Sachlichkeit kann helfen, diesen Unterschied auszuhalten, ohne ihn zähmen zu wollen. Zimmerleute des Waldes, einer der ersten Filme von Heinz Sielmann, ist so ein Dokument der Sachlichkeit. Als erster Tierfilmer zeigte er, was im Inneren eines Spechtbaus vorgeht, während die Eier ausgebrütet werden, die Jungen schlüpfen und heranwachsen. In England hieß Sielmann danach nur noch Mr. Woodpecker, womit er der einzige deutsche Tierfilmer ist, der es geschafft hat, auch im Namen Tier zu werden. Aber auch Sielmann konnte es sich 1954, als sein Film herauskam, noch nicht leisten, den Bruch zwischen Mensch und Tier ganz zu vollziehen. Der ironische Kommentar des Films zieht die Spechte immer wieder in die Menschenwelt zurück. Trotzdem bleibt Sielmann methodisch ein Vorläufer jener Filmemacher, die wie Heinz Meynhardt in Wildschwein ehrenhalber davon ausgehen, dass man Tiere nur verstehen kann, wenn man sie nicht vermenschlicht, sondern sie Tier sein lässt.

Filmprogramm

  • Naturschutz: Tieraufnahmen I, Hermann Hähnle, DE 1915-20, 3 min, Ausschnitt 5
  • Bedingte Reflexe bei Tieren (Pawlow), UdSSR 1920er Jahre, 9 min
  • Zimmerleute des Waldes, Heinz Sielmann, DE 1954, 19 min
  • A Fish Family, Moody Institute of Science, USA 1957, 10 min
  • Heinz Meynhardt – Wildschwein ehrenhalber, Karl-Heinz Carpentier & Wolfgang Hupe & Heinz Meynhardt, DDR 1977, 30 min; Aus dem Deutschen Rundfunkarchiv. Mit freundlicher Genehmigung von Margot Meynhardt.
  • Convulsion, Chen Sheinberg, IL 1998, 4 min
  • Blue Eyes, Chen Sheinberg, IL 2008, 4 min

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