7. Werkleitz Biennale 2006

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Freitag
06.
 
 
Dienstag
10.10.2006

Wir glauben, dass die Frage nach der gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung des Glaubens ein aktuelles kulturelles Thema ist, das nicht zuletzt auch für kunstwissenschaftliche Diskurse und künstlerische Praxis relevant ist.

Wir sprechen dabei weniger von der in letzter Zeit viel zitierten ‚Wiederkehr der Religion’, sondern gehen von unserer Beobachtung aus, dass es sich um ein wieder erstarkendes Interesse an Religiösität und Glaubensphänomenen in der modernen Gesellschaft, also um die Wiederkehr eines religiösen Bedürfnisses handelt. Seit wir Anfang 2005 mit der kuratorischen Arbeit begonnen haben, steht die Auseinandersetzung mit den kulturellen, politischen und gesellschaftlichen (Be-)Deutungssystemen des Glaubens im Zentrum unseres Interesses.
Unsere unmittelbare Gegenwart ist gekennzeichnet durch kulturelle Pluralisierung von Lebenswelten und Wertediskursen sowie einer gesellschaftlichen Komplexität, die jeden Menschen herausfordert. Individualisierungsprozesse, Irritationen der Identität und das Bedürfnis nach Orientierung bei gleichzeitiger Vervielfältigung von Entscheidungsmöglichkeiten sind die Konsequenz. Keine religiöse oder politische Autorität kann uns noch eine klare Definition von Sinn verordnen oder ein gesellschaftlich sanktioniertes Streben nach der kollektiven Umsetzung einer Utopie oder eines Heilsversprechens vermitteln. Die Beantwortung existenzieller Fragen, selbst die nach dem Sinn des Lebens, wird mehr und mehr zur privaten Angelegenheit – und mit dem Zugriff auf unterschiedliche Wertesysteme zu lösen versucht.
Sinn- und Glaubensangebote lassen sich nicht nur in religiösen und spirituellen Sphären, sondern inzwischen auch in den kulturellen Feldern von Kunst, Literatur, Kino und Fernsehen finden, wobei sich die Erlebnis- und Erkenntniswelten aus den unterschiedlichen Bereichen überschneiden können. Dabei schaffen gerade die Medien in ihren temporären Gegenwelten Freiräume außerhalb der Realität, welche durch Kontrolle, materielle Abhängigkeiten, Armutsgefälle und fehlende Zukunftskonzepte geprägt zu sein scheint.
Der Wunsch nach Identität und Sinnhorizonten kann auch in der Teilnahme an kollektiv aufgeladenen Großereignissen Erfüllung finden; angefangen beim XX. Weltjugendtag bis hin zur Euphorie der Fußballweltmeisterschaft – Events, die die Erfahrung eines kollektiven Gemeinschaftsgefühls und eines Gleichklangs der Emotionen vermitteln.

Bedingt durch die Ausrichtung der Werkleitz Biennale als Medienkunstfestival sind wir aber auch den Tendenzen der modernen Medienkultur nachgegangen. Einerseits lässt sich eine Übernahme religiöser Motive und Rituale in der Unterhaltungskultur beobachten, andererseits inszenieren sich die verschiedenen Glaubensgruppen immer mediengerechter. Darüber hinaus hat uns die Instrumentalisierung von Bedürfnissen interessiert, wie dies im Bereich der Ökonomisierung des Glaubens durch Werbung und durch Ritualisierung der konsumistischen Warenwelt geschieht.
Von der Visualisierung ideologischer und ökonomischer Kämpfe um die Vormachtstellung von monotheistischen Religionen im aktuellen Weltgeschehen, von Themen wie Islamismus und Fundamentalismus oder von Wertedebatten, die sich am abendländisch-christlichen Weltbild orientieren, haben wir uns bewusst ferngehalten – oder diese nur peripher gestreift. Als Kurator und Kuratorinnen möchten und können wir mit den eingeladenen Beiträgen der Werkleitz Biennale keine wissenschaftlich korrekte oder politisch sachliche Argumentation für oder gegen politische, ökonomische und religiöse Verflechtungen im Weltgeschehen liefern. Unsere Möglichkeit sehen wir in einem spezifischen, aus der Kunstpraxis kommenden Blick auf Phänomene unserer gegenwärtigen Kultur, Phänomene die uns beschäftigen und berühren. Wir sind fasziniert von den vielfältigen Ausprägungen de-institutionalisierter und individueller Glaubenspraxis heute und sehen in ihr eine gewisse Affinität zur Offenheit und Wirksamkeit künstlerischer Arbeit, die in Kontrast zu den ernüchternden Alltagsrealitäten stehen.

So ist ein Ergebnis des kuratorischen Prozesses, dass wir besonders viele Beiträge eingeladen haben, die sich mit Formen privater Glaubenspraxis auseinandersetzen und individuelle Betrachtungsansätze auf unsere Fragestellungen ermöglichen. Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir mit der Ausstellung, dem Filmprogramm und den Live-Veranstaltungen der 7. Werkleitz Biennale dazu beitragen, den Diskurs über die Relevanz des Glaubens fortzusetzen. Letztendlich aber sehen wir unsere Kompetenz in der Formulierung von Fragen. Wie die Besucher und Besucherinnen der Biennale wollen wir uns überraschen lassen von dem Zusammenspiel der Arbeiten, von dem Erlebnis der Biennale als experimentellem Denkraum, der allen offen steht.

Anke Hoffmann, Solvej Ovesen, Angelika Richter, Jan Schuijren

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