Übergordnete Werke und Veranstaltungen

DDR / DDR

DE/US 2008
Samstag
25.10.2008
16:00

Wie macht man einen Film über einen Staat, den es nicht mehr gibt? Amie Siegel verwendet alle Register des Dokumentarischen, Interviews, Vor-Ort-Recherchen, Archivmaterial und Re-enactments. In tableauxartigen Szenen erscheinen nicht nur ihre Protagonisten, sondern auch die Filmemacherin selbst samt ihres Equipments: So ist dieses Werk filmischer Spiegel der DDR wie auch des dokumentarischen Filmemachens. In ihren Themen setzt sich dieser Ansatz fort. Sie interviewt ausführlich Psychoanalytiker, die versuchten, in der DDR der untersagten Methode nachzugehen, und die jetzt mit der Aufarbeitung des dramatischen Vertrauensverlustes beschäftigt sind, der ihnen dabei widerfuhr: Auch diese Gruppen waren von der Stasi infiltriert. Dem entgegengestellt ist ein Täter des Systems, der wenig Probleme mit seiner Vergangenheit zu haben scheint. DDR-Indianer, die ja für sich schon eine Inszenierung sind, geben, vor ihren Tipis arrangiert, ausführlich Auskunft über die Motivation ihres Aussteigens. Alle Stränge von Siegels Annäherung verknüpfen sich, wenn sie die Geschichte der Staatssicherheit als Mediengeschichte erzählt. So interviewt sie nicht nur einen Sammler von Überwachungskameras, sondern benutzt diese abenteuerlich aussehenden Geräte auch, um wiederum ehemalige Mitarbeiter der Stasi zu filmen. Die Ästhetik der illegitimen Beobachtung wird zur Reflektion über das Verhältnis von „tatsächlicher“ und „medialer“ Vergangenheit. Aber auch die Überwacher in der DDR selbst konnten sich den ästhetischen Möglichkeiten ihrer Technik nicht gänzlich entziehen: Ein Archivband zeigt, wie ein offensichtlich gelangweilter Stasi-Kameramann für sich die Ansätze der Videokunst entdeckt. Doch weiter kamen sie nicht – so gibt es auch aus dem DDR Underground keine Videokunst. „Die Stasi blieb vollständig analog“, sagt Amie Siegel im Kommentar und verweist damit nicht nur auf die These Castells, der den Untergang des Sozialismus in dessen Unfähigkeit sah, den Schritt zum Informationszeitalter zu vollziehen,1 sondern erinnert in den Zeiten zunehmender Überwachungskameras auch daran, dass mit dem digitalen Zeitalter ganz andere Möglichkeiten der Beobachtung geschaffen wurden, als sie der verschwundenen DDR zur Verfügung standen.

Marcel Schwierin

1 Vgl. Manuel Castells: Das Informationszeitalter III – Jahrtausendwende. Opladen 2003. [Manuel Castells: The Information Age III – End of Millennium. Cambridge, Mass. & Oxford 1996.]

Amie Siegel, DE/US 2008, 135 Min., dt./engl. OF m. engl. UT (Preview)

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