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Whity
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In seiner ganz anderen Untersuchung der Dynamik in den Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen wendet sich auch Fassbinder der Darstellung von Sklaverei zu. Hier ist der Bezugspunkt jedoch nicht die Kunstgeschichte, sondern die Geschichte, wie sie in Hollywood-Genrefilmen erzählt wird. „Whity“, Fassbinders einziger Film, der in Technicolor-Cinemascope gedreht wurde, ist eine Art Plantagen-Melodram, das im amerikanischen Westen des Jahres 1878 spielt. Der Film handelt von der dekadenten Landbesitzer-Familie Nicholson und ihrem Mulattensklaven Whity (gespielt von Fassbinders damaligem Liebhaber Günther Kaufmann, der häufig in Fassbinder-Filmen zu sehen ist). Der Patriarch Ben Nicholson (Ron Randell) herrscht über die Familie mit harter Hand, die Peitsche immer griffbereit. Er wohnt in einem alten Herrenhaus in einer desolaten Geisterstadt des Westens zusammen mit seiner perversen zweiten Ehefrau Katherine (Katrin Schaake) und seinen beiden Söhnen, dem geistig behinderten Davie (Harry Baer) und dem homosexuellen Frank (Ulli Lommel). Die Familienmitglieder bekunden abwechselnd ihr sexuelles Interesse an Whity und ihre Verachtung für ihn. Obwohl Whity sich bereitwillig dem Spott und Missbrauch durch die Familie aussetzt, weigert er sich, ihren Bitten, den Vater zu töten, nachzukommen. Am Abend trifft er sich mit seiner Liebhaberin Hanna (Hanna Schygulla), der örtlichen Hure und Sängerin, im Saloon, die ihn überzeugen will, die schreckliche Familie zu verlassen und „nach Osten“ zu gehen. Am Ende bringt Whity die Familie Nicholson doch um, einen nach dem anderen, und flüchtet
mit Hanna in die Wüste, wo sie der sichere Tod durch Verdursten erwartet.
Bei der Premiere gefloppt, kam „Whity“ nie in die Kinos und blieb daher einer der unbekanntesten Filme Fassbinders. Formal hat der Film vieles mit seinen anderen frühen Filmen gemein, z.B. die nicht-psychologische Darstellung der Charaktere, die langen Sequenzen und die langsamen, wohl überlegten Kamerabewegungen. („Whity“ war die erste gemeinsame Arbeit mit dem Kameramann Michael Ballhaus). Auch inhaltlich fügt sich der Film nahtlos in das restliche Werk Fassbinders ein: seine harsche Kritik am heterosexuellen Familienleben, die Inszenierung persönlicher Beziehungen als Systeme ungleichen Tauschs und vor allem seine scharfe Kritik an der Dynamik rassistischer Unterdrückung. Durch die Darstellung der Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen als eine Art Erotik von Dominanz und Unterwerfung ist „Whity“ nach wie vor einer von Fassbinders faszinierendsten und wichtigsten Filmen in Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um „Rasse“ und sexuelles Begehren.