The Eternal Lesson & Fabric

DE 2012

Christoph Girardet zeigt im Meisterhaus Moholy-Nagy zwei Arbeiten die komplementär zueinander stehen – wie Ruine und Modell oder wie Negativ und Positiv in der Analogfotografie. The Eternal Lesson (2012) verwendet das Rohmaterial eines unvollendeten Films von 1939, der Kunststudenten bei der Arbeit im Atelier und Museum dokumentiert. Viele Einstellungen wurden mehrmals, mit minimalen Unterschieden gedreht. Girardet zeigt jeweils zwei fast identische Ansichten nebeneinander, wodurch ein permanenter Abgleich zwischen Modell und Ausführung, Ideal und Abweichung in Gang gesetzt wird. Fabric (2014) bedient sich ebenfalls historischer Materialien, diesmal aussortierter Sequenzen eines Industriefilms über Kunstfasern von 1949. Der finale Film ist verschollen, Girardet montiert also die Schnittreste vor und nach der Klappe chronologisch aneinander. Dieser Film muss für immer Ruine bleiben, macht jedoch die Technik und Methode der filmischen Inszenierung selbst sichtbar.

Interview Christoph Girardet mit Daniel Herrmann

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DH: Ein Großteil deiner künstlerischen Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt in Found Footage. Wobei ich mir hier gar nicht sicher bin, denn das würde ja bedeuten, du reagierst auf Gefundenes. – Ist es eine Suche oder ein Spaziergang?

CG: Ein Spaziergang ist das selten. Es gibt Suchen, die ziellos sind, wo überhaupt nicht klar ist, was ich finden werde. Fabric und The Eternal Lesson sind dafür beste Beispiele. Ich durfte das Archiv des Filmmuseums in Amsterdam durchstöbern, das hatte zwar auch ein Ziel, aber ich hatte am Anfang absolut keine Ahnung, welches genau. Man hofft also auf Zufallsfunde, und eine gewisse Hartnäckigkeit mag diese dann auch erzwungen haben.

Manchmal wiederum treiben während einer fokussierten Recherche interessante Fundstücke an, die fürs anstehende Projekt aber unbrauchbar sind. Diese harren dann einer möglichen Auseinandersetzung zu einem späteren Zeitpunkt, oder auch nicht.

DH: Deine Übernahme von Einzelbildern oder Sequenzen aus vorhandenem Filmmaterial erscheint mir wie ein Jonglieren mit Spolien. In Silberwald hast du aus verschiedenen Filmen spezifische Bilder und Figuren gleicher Funktion herausgearbeitet und zu Archetypen verschmolzen – Bergpanorama und Hirsch vs. Wilddieb und Försters Lieschen. Wie lebt es sich im Steinbruch schier unendlicher Bilder?

CG: Silberwald ist exemplarisch für ein Projekt mit gezielter Suche. Die ist quasi eine Überlebensstrategie im Steinbruch. Im Vorfeld gab es die Begrenzung auf bestimmte Motive aus einem sehr speziellen Filmgenre während einer definierbaren Epoche. Da der Heimatfilm medial sehr präsent und auch seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung ist, war die Recherche zwar zeitaufwendig, aber nicht schwierig. Man konnte ahnen, was einen erwartet. Die Aufgabe bestand für mich eher darin, dem Material noch etwas abzugewinnen, bestenfalls, ihm etwas Bedeutendes hinzuzufügen, was bei der Austauschbarkeit der Bilder eine echte Herausforderung war.

Ich bin gar nicht sicher, ob sich die Definition von Spolien auch auf derart industriell Gefertigtes übertragen lässt. Im Unterschied zu einzigartigen Bruchstücken längst verschwundener Bauwerke handelt es sich bei den Filmfragmenten ja lediglich um kopierte Teile aus nach wie vor intakten Filmen und mitnichten um Unikate.

DH: Eben der Heimatfilm. Und nun ein weiteres Genre: der wissenschaftliche Film, dessen Narrativ du für Synthesis geplündert hast. Beides Ruinenlandschaften, wiewohl überkommen.

Kann es sein, dass du gerade, indem du dich überkommenen Materials bedienst, dem Resultat eine Zeitlosigkeit verschaffst?

CG: Ein erheblicher Teil der Bilder in Synthesis stammt aus Filmen, die von der chemischen Industrie in Auftrag geben wurden, also aus werbenden, pseudo-wissenschaftlichen Industriefilmen. Dieses Genre hatte seine Blütezeit in den 1960er Jahren. Bestimmte Formensprachen und Strategien von Werbefilmen sind bis heute unverändert. Sie bedienen immer einen als größtmöglich angenommenen Konsens, z.B. den vom klassischen Schönheitsideal. Das erklärt aber auch, warum selbst die giftigsten Substanzen sehr gut aussehen müssen. Eine Überkommenheit findet sich in Synthesis daher eher im ruinösen Zustand des Filmmaterials selbst, in der Ästhetik der Patina, in Fehlfarben, Blässe, Staub und Flecken. Oberflächen scheinen zersetzt, das Zelluloid ist hier und da schon lädiert. Die Patina suggeriert ein Schema von Ursache und Wirkung zwischen den abgebildeten Chemikalien und dem angegriffenen Trägermaterial, das die Autoren natürlich nicht intendierten. Vielleicht manifestiert sich hierin eine zeitlose, zwar banale, aber eben existenzielle Erkenntnis, denn Verfallsprozesse sind ja nicht bloß kulturgeschichtliche Wiedergänger, sie sind faktisch und nicht aufzuhalten.

DH: In Fabric drehen sich drei reizende Frauen im neuen Gewand synthetischer Stoffe durchs Filmstudio, erlesene Repliken antiker Figuren dienen als Staffage, hin und wieder taucht der schöne Schneider auf. Man könnte meinen, es ginge um die Inkarnation von Winckelmanns Sinnspruch „Edle Einfalt, stille Größe“. Hin und wieder kommt ein Beepton. Ähnlich wie beim Streit um Laokoons Arm begibst du dich mit Fabric in eine Spekulation – worüber?

CG: Die Arbeit, die im Rahmen von Modell und Ruine im Meisterhaus von Moholy-Nagy präsentiert wird, basiert auf einem Film von 1949, bei dem Paul Schuitema Regie führte. Schuitemas vornehmlich grafisches Werk stand schon seit den 1920er Jahren ganz in der Tradition des Bauhauses, er hat das Erscheinungsbild der Moderne in Holland entscheidend geprägt. Er war auch ein sehr interessanter Filmemacher von zumeist frei produzierten Kurzfilmen.

Hier handelt es sich jedoch um eine Auftragsproduktion kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, um einen Industriefilm über Herstellung und Verkauf von Kunstfasern. Fabric widmet sich dem aussortierten Bildmaterial dieses Films. Im Eye Filmmuseum in Amsterdam lagern lediglich die nicht für die Arbeitskopie verwendeten Reste. Es ist sehr wahrscheinlich, dass keine einzige Kopie des finalen Films noch irgendwo existiert. Aber auch das Aussortierte ist aufschlussreich. Anhand der vorhandenen Filmklappen im Bild und deren Nummerierung lässt sich das Storyboard zumindest fragmentarisch ablesen und bei vielen auf Anschluss und oft wiederholt gedrehten Einstellungen, von denen es jeweils eine Variante in den fertigen Film geschafft hat, kann man sogar die Montage nachvollziehen.

Anders als bei Laokoons Arm ging es mir aber nicht um eine möglichst genaue Rekonstruktion des Films mittels der Verwendung der noch vorhandenen alternativen Einstellungen. Der konzeptionelle Ansatz von Fabric verfolgt etwas Gegenteiliges, nämlich die Umkehr bzw. die Negativform des verschollenen Films. Die verbliebenen Reste, also alle Wiederholungen inklusive der Klappen und kurzen Kameratests sowie der Einstellungen, die durch Fehler der Schauspieler oder der Kamera abgebrochen wurden, habe ich nach fortlaufender Nummerierung angeordnet. Oftmals fehlen Stücke, aber Vor- und Nachlauf der entsprechenden Einstellungen sind vorhanden. Somit deuten die fehlenden Passagen auf ihre Verwendung in der damaligen Arbeitskopie hin. In Fabric sind die Lücken, die diese fehlenden Stücke im Material hinterlassen haben nun geschlossen. Vor- und Nachläufe sind direkt aneinandergeschnitten. Diese Nahtstellen sind auf der ansonsten stummen Tonspur mit kurzen Beeps gekennzeichnet, sie strukturieren gewissermaßen den neu gewebten Film. Zwischen der Darstellung von Herstellungs-, Verarbeitungsprozessen und insbesondere der vermeintlichen Sinnlichkeit von Kunstfaser treten nun die gleichfalls höchst artifiziellen Darstellungsprozesse hervor: die der filmischen Inszenierung.

Das Verfahren der Rekonstruktion trifft eher auf The Eternal Lesson zu, meine zweite Arbeit in der Ausstellung. Hier habe ich rein spekulativ zwei nahezu gleiche, aber niemals identische Varianten eines Films nebeneinander montiert. Die Bilder stammen aus unbearbeitetem Rohmaterial für einen Dokumentarfilm aus den späten 1930er Jahren, der nie fertiggestellt wurde. The Eternal Lesson thematisiert den Begriff des Originals, der Authentizität. Die Bilder zeigen Kunststudenten bei der Arbeit, die versuchen, ihre Vorlagen – etwa ein Stillleben, ein lebendes Modell oder die Replik einer Skulptur – so genau wie möglich zu kopieren. Während die Studierenden im Schaffensprozess ihre Werke mit den Modellen vergleichen, überprüft der Betrachter die Unterschiede in den beiden Filmen. In der Endlosschleife wird dieses „Sich-Abarbeiten“ zum ewig wiederholten Unterricht.

Interview Christoph Giradet

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