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Spiritual Still
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Das bis zur Unkenntlichkeit zerkratzte Gesicht auf dem immer wieder gleichen Poster gehört einem der weltweit erfolgreichsten Idole – der US-amerikanischen Sängerin Britney Spears. Millionen Jugendliche gehören zu ihrer Fangemeinde, fasziniert von den perfekten Selbst-Inszenierungen des Popstars.
In François Buchers Spiritual Still (2005) ist davon nichts mehr zu sehen. Die über 30 Fotografien, aufgenommen in der New Yorker U-Bahn kurz nach dem 11. September 2001, weisen Spuren eines gemeinschaftlichen, ‚spirituellen’ Erwachens auf. Die New Yorker, auf Grund der Ereignisse in ihrer Stadt offensichtlich nicht mehr in der Lage, das glamouröse und vordergründige Sich-in-Szene-Setzen der Sängerin zu ertragen, proben ein kollektives Aufbegehren. Alle erdenklichen Formen des Unmutes mit der Qualität eines säkularen Bildersturms richten sich gegen das Idol, das von allem unbeeindruckt ihr Konzert in Las Vegas ankündigt.
Mit dem Angriff auf ihre Poster aber erlebt die Sängerin ironischerweise gleichsam eine quasi-religiöse ‚Wiederbelebung’. Entsprechend ihrem damaligen Oszillieren zwischen den Inszenierungen einer Hure und einer Heiligen sprechen die Bilder Britney Spears’ nun geradezu von einem Martyrium. Die ihr zugefügten Leiden scheint die Sängerin dabei mit dem entsprechenden Pop-Pathos zu hinterfragen, aber gleichzeitig stoisch zu ertragen, wie ihr Song Girl in the Mirror zu berichten weiß:
There's a girl in the mirror /
I wonder who she is /
Sometimes I think I know her /
Sometimes I really wish I did /
There's a story in her eyes /
Lullabies and goodbyes /
When she's looking back at me /
I can tell her heart is broken easily
...
If I could /
I would tell her /
Not to be afraid /
The pain that she's feeling /
That sense of loneliness will fade /
So dry your tears and rest assured /
Love will find you like before /
When she's looking back at me /
I know nothing really works that easily
...
I can't believe what I see /
No ... /
oh the girl in my mirror /
The girl in my mirror is me /
Ohh ... is me
Für die künstlerische Praxis François Buchers ist die Auseinandersetzung mit dem Bild, seiner Überlieferung, Aufladung und kontextabhängigen Bedeutung in der visuellen Kultur maßgeblich, was sich auch in seinem neuen Film Sopraluoghi a Roma (2006)2 zeigt.
Während sich darin die Stadt Rom durch Werbung, Shows, Fernsehen oder Führungen für Touristen selbst ausstellt, wird durch das voice-over deutlich, dass der Film nach etwas Anderem Ausschau hält. Ausgehend von Caravaggios Das Abendmahl in Emmaus (1602/03) begibt sich die Kamera auf die Suche nach einem Bild, das im Laufe des Films erst noch entstehen wird. So heißt es darin: „these images were not taken by me ...“, „I could use the face of this person for ...“ oder „I have no words for these images ...“.
Text von Angelika Richter (Aus: Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern)
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2 Der Titel ist eine Anlehnung an Pier Paolo Pasolinis Motivsuche in Palästina, Sopraluoghi in Palestina, für den Spielfilm Il vangelo secondo Matteo (1964).