Übergordnete Werke und Veranstaltungen
Sonntag im Park
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Diego Riveras riesige Wandmalerei Sunday Dream vereint alle sozialen Schichten und alle Zeiten in einer utopisch nostalgischen Jugenderinnerung. Es ist eine Auftragsarbeit für die Lobby des Hotels del Prado 1947, die nach dem Erdbeben in den 1980er Jahren und ihrer teilweisen Zerstörung nun wieder renoviert ein eigenes Museum direkt am Alameda Park bekommen hat. Mexikos Revolution von 1910 ist noch in den Jugendzeiten Riveras unter der Führung von General Díaz „institutionalisiert“ worden.
Man sieht auch einen Organillero in schlichter Revolutionsuniform. Über hundert Jahre Benutzung hat sich in Klang eingeschrieben. Durch andauerndes Leiern verändert sich nicht nur die Intonation, sondern auch die Partitur, die in die Walze in Form von Stiften eingesteckt ist. Was da klingt, ist mehr als ein medialer Schatten – vielmehr schon eine rhythmische wie melodiöse Variation über die einstigen Melodien.
„Harmonipan – Frati & Co, Schönhauser Allee 73“ steht auf dem Kasten. 1879 hatten Giovanni Battista Bacigalupo und Chiaro Frati eine Firma zur Produktion pneumatisch mechanischer Musikwerke gegründet. Über die Jahre bildeten die Bacigalupos eine Drehorgelbauer-Dynastie in der Schönhauser Allee in Berlin. Am Ende des 19. Jahrhunderts zogen bis zu 3000 Drehleiermänner durch die Straßen und Hinterhöfe der Hauptstadt. Bis in die 1920er Jahre, als der Lärm der Automobile und die neuen Medien wie das Grammophon und später auch das Radio den Mann mit seinem Musikautomaten verdrängten, war Berlin das Zentrum dieses Bettelgewerbes. Die Drehorgeln gehörten nie ihren Spielern, sondern wurden ihnen vermietet. Zudem brauchte man eine Lizenz zum Leiern, die im Kaiserreich häufig anstatt einer Kriegsinvalidenrente vergeben wurde. Deutsche Geschäftsmänner brachten diese Instrumente und dieses Geschäftsmodell in den Zeiten der mexikanischen Revolution nach Südamerika. Seit 1975 gibt es „Free Unions“ dieser kaffeefarbenen oder grau uniformierten Organilleros, die meist stolz sind, in einer schon langen Familientradition für einen Hungerlohn die öffentlichen Plätze Mexico Citys zu beschallen. Selbst heute kann sich kein Organillero diesen alten Automaten als Besitz leisten. In Sonntag im Park rekomponiere ich meine digital aufgezeichneten Impressionen mit ihren überdehnten Resonanzen im digitalen Raum, so wie sie in meinen Erinnerungen nachschwingen, dem Echo einer geronnenen Revolution.
Jan-Peter E.R. Sonntag