Übergordnete Werke und Veranstaltungen

Once in the XX Century

LI 2004

Am Ende des 20. Jahrhunderts dürfen wir Zeugen einer Wundererscheinung sein – auf einem öffentlichen Platz in Vilnius, Litauen, können wir die Errichtung einer Lenin-Statue verfolgen.

Dieser ungewöhnliche Akt im Video Once in the XXth Century (2004) von Deimantas Narkeviciuis gleicht einem öffentlichen Spektakel, beklatscht von zahlreich erschienenem Publikum. Die gewohnt streng stilisierten Feierlichkeiten für den ideologischen Führer der kommunistischen Idee, der aus dem Marx’schen ‚Religion ist das Opium des Volkes’ gleich die propagandistische Version von ‚Religion ist Opium für's Volk’ machte, bleiben indes aus. Das heitere Volksfest geht ohne die staatlich verordnete Choreografie von quasi-religiösen Verehrungsritualen vonstatten.
Deimantas Narkevicius hat in seinem Video Material eines litauischen Fernsehsenders verwendet. Dieses zeigt die Demontage des Lenin-Monuments in den 1990er Jahren. Durch filmischen Schnitt wurde daraus die Errichtung derselben. Nachdem ein Großteil der sozialistischen Denkmäler Ende letzten Jahrhunderts spontan oder staatlich verordnet abgetragen wurden, zeugen diese als nur noch flüchtige und entmaterialisierte Spuren von einem kollektiven, aber unerfüllt gebliebenen Glauben an eine gesellschaftliche Alternative. Mit der ‚Umkehr der Bilder’ holt Deimantas Narkevicius in seinem Video den längst zu Geschichte gewordenen Personenkult und die öffentliche Installation ideologischer Symbole eines real existierenden Sozialismus noch einmal in unsere Zeit.
Der litauische Filmemacher thematisiert in seinen Arbeiten ausgehend von seiner persönlichen Biografie und in Hinblick auf Ereignisse in seinem Heimatland das Verhältnis von individueller und kollektiver Erinnererung. Once in the XXth Century ist ein ironischer Kommentar auf die sich in den verschiedenen politischen Epochen wiederholenden Szenen ideologischer Manifestationen in ‚Stein’ und auf den darauf folgenden Ikonoklasmus als radikale Maßnahme von Geschichtskorrektur. Zerstörung, Entweihung oder Entfernung politischer Glaubensrelikte führten, wie die Geschichte zeigt, indes nur zur oftmals ungebrochenen Reproduktion von Ikonen und Formen der Bilderverehrung. So wird im Video nicht nur die beanspruchte Glaub-Würdigkeit der (Fernseh-)Bilder von dem Moment, in dem eine Gesellschaftsordnung Geschichte wird, unterlaufen. Darüber hinaus wird von der Austauschbarkeit und Entleerung ideologischer Zeichen und Rituale erzählt. 1
Die zerstörten Hinterlassenschaften einer verlorenen Utopie finden sich auch in dem Film The Role of a Lifetime (2003). Hier wird gezeigt, wie sowjetische Monumente, ihrer einstigen repräsentativen Funktion entledigt, in einem skurrilen Themenpark in Litauen wie ausgediente Veteranen ausgestellt werden. Auch das still gelegte Elektrizitätswerk in Energy Lithuania (2000), einst Symbol für den gemeinschaftlichen Glauben an den sozialistischen Aufbau und Fortschritt, findet sich in den Bildern nur noch als geisterhafter Ort wieder, als immenses Echo einer gescheiterten Utopie.

Text von Angelika Richter (Aus: Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern)

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1 Eine Arbeit, die einen Aspekt russischer Geschichte als Abfolge monumentaler Verehrung und nachfolgender Zerstörung von Gebäuden und Denkmälern beschreibt, ist der Film Disgraced Monuments von Mark Lewis und Laura Mulvey. Der sich abwechselnde Aufbau und Abriss politischer und religiöser Architektur entsprechend der jeweils dominierenden Weltanschauung auf einem Platz in Moskau innerhalb eines Jahrhunderts wird anhand von dokumentarischem Material nachgezeichnet.
Die Errichtung bzw. der Abriss der Lenin-Statue wird in Once in the XXth Century wiederum konterkariert durch die sich im Hintergrund befindende katholische Kirche SS Jacob and Philip, die die Zeiten der Sowjetunion und des Postkommunismus unbeschadet überlebt hat.

Video, 8 min
Courtesy the artist

Once in the XX Century

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