Ohne Titel, Auszug aus dem Verzeichnis der flächenbezogenen Nutzungsarten im Liegenschaftskataster u. deren Begriffsbestimmungen (Nutzungsartenverzeichnis) der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV)

DE 2019

Die Arbeit "Ohne Titel, Auszug aus dem Verzeichnis der flächenbezogenen Nutzungsarten im Liegenschaftskataster und deren Begriffsbestimmungen (Nutzungsartenverzeichnis) der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) von 1991" von Magdalena Rude trägt ihre besondere Qualität schon im Titel. Die Audioinstallation listet verschiedene amtliche Kategorien für Flächennutzungsarten auf und ist an unsere Vorstellungskraft adressiert. Zu hören ist ein abstraktes Modell von Verwaltbarkeit: das Inventar der Gegenstände und möglichen Handlungsweisen, wie sie eine staatliche Behörde definiert, die für räumliche Beziehungen zuständig ist. Doch die spröden begrifflichen Bestimmungen des Bürokratendeutsch weisen über sich selbst hinaus. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Behördensprache und Poetik, zwischen Abstraktion und Vorstellung, Begriff und Form.

Interview Magdalena Rude mit Kristina Tieke

KT: Im Rahmen der Ausstellung Modell und Ruine präsentierst du die Audioarbeit Ohne Titel, Auszug aus dem Verzeichnis ... (2015). Es werden Flächennutzungsarten aufgezählt, die für statistische Erhebungen offiziell definiert sind. Zum Beispiel: „Gebäude und Freifläche – Gewerbe und Industrie: Tankstelle“. Oder: „Gebäude und Freifläche – Mischnutzung mit Wohnen: Wohnen mit öffentlich“. Das akustische Archiv adressiert die Imagination des Zuhörers, der vor seinem inneren Auge konkrete Bauwerke und abstrakte Assoziationen aufruft.
Du leitest also einen – wie du es nennst – „bildhauerischen Prozess“ beim Zuhörer ein. Kannst du diesen Prozess erläutern, wie funktioniert er?

MR: Für mich hat dieser Vorstellungsprozess, der beim aktiven Hören der Begriffe angestoßen wird, etwas Formbildendes: Wenn wir einen Begriff hören, wird dieser wie automatisch in unserer Vorstellung geformt, gewissermaßen „umgesetzt“. Das so in der Imagination Gebildete basiert auf individuellen Erfahrungen. Bei den Flächennutzungsarten geht es um Gelände, Gebäude, Vegetation, Gewässer etc. und damit um Volumen, Form, Räumlichkeit, Materialeigenschaften, Stofflichkeit und andere skulpturale Qualitäten.

Durch die dichte Folge der Begriffe bekommt der Vorstellungsprozess zwangsläufig etwas Flüchtiges und Unscharfes. Bei aufeinanderfolgenden ähnlichen Begriffen kann z.B. ein Bild in Bewegung geraten, sich immer wieder umformen ("Einzelhaus [...] Doppelhaus [...] Reihenhaus [...] Gruppenhaus [...] Hochhaus"). Manchmal habe ich beim Hören dieser Arbeit auch das Gefühl, im Zug durch die Landschaft zu fahren, als Folge des Nacheinanders der Begriffe.

KT: Die Arbeit hat lyrische Qualität, nicht nur wegen ihrer Redundanzen, Ellipsen und Absurditäten. (Herrlich: „Wohnen mit öffentlich“ / „öffentlich mit Wohnen“). Sie lässt sich auch in Traditionszusammenhängen lesen. Mich erinnert sie an ein Gedicht von Rilke, das anhebt: „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. / Sie sprechen alles so deutlich aus: / Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, / und hier ist Beginn und das Ende dort.“ Sprachskepsis und Kritik an unserem gestörten Verhältnis zur Welt, der wir alles Wunderbare austreiben, kommt zum Ausdruck.
Das lässt sich meines Erachtens auch über Ohne Titel, Auszug aus dem Verzeichnis ... sagen. Welche ästhetischen und kritischen Potenziale schreibst du selbst dem Werk zu?

MR: In dem Zusammenhang finde ich spannend, was mit den Begriffen dadurch passiert, dass sie aus dem tabellarischen Verzeichnis extrahiert und vom geschriebenen ins gesprochene Wort übersetzt werden. Die Aussprache eines Begriffes ist immer Interpretation. Auch ein nüchternes Sprechen fügt mit Klang, Betonung und Rhythmus Bedeutung hinzu und kann die Begriffe z.B. humoristisch und dramatisch aufladen.

Rilke beschreibt den Akt des Benennens. Der Fokus meiner Arbeit liegt weniger auf diesem Kategorisieren als auf dem umgekehrten Prozess: Die begrenzende und vermeintliche Eindeutigkeit der Begriffskategorien wird zugunsten einer Vielfalt von Vorstellungen wieder aufgelöst. Mich interessiert das Scheitern der Kategorien, das beim Hörenden immer neue diffuse Vorstellungen entstehen lässt.

Die Arbeit entstand erst einmal nicht aus einer primär kritischen Haltung gegenüber dem Inhalt oder dem Umgang mit Sprache. Ich gehe an jedes (Ausgangs-)Material mit einer beobachtenden, befragenden und auch neugierigen Haltung heran. Im Fokus steht für mich erst einmal das ästhetische Interesse am Gegenstand. Erst indem sich die Arbeit im Prozess mehr und mehr zeigt, legt sie neue Aspekte des Materials frei.

Indem wir die Begriffe hören, können wir sie und das, was mit ihnen mitschwingt – Ab- und Eingrenzungen, Macht- und Eigentumsverhältnisse – auch befragen und kritisieren.

KT: In Dessau wird die Arbeit zur Installation. Im Souterrain des Meisterhauses von Moholy-Nagy werden Menschen mit Kopfhörern auf Betonkuben sitzen und Vorstellungen von Räumen entwerfen, die sich mit den Eindrücken der konkreten Situation mischen. Das Meisterhaus ist heute sowohl ein Hohl- als auch ein Resonanzraum, in dem die Ideale des Bauhauses nachhallen.

Wie wird dieser Kontext die Wahrnehmung des Werks verändern? Lässt es sich auch als Kommentar auf das Bauhaus und seine Folgen verstehen?

MR: Die Arbeit ist nicht als Kommentar zum Bauhaus oder den neuen Meisterhäusern entstanden. Dennoch habe ich den Ort natürlich sehr bewusst gewählt.

Der Raum hat mich aufgrund seines gestalterischen wie inhaltlichen Abstraktionsgrades fasziniert. Die für den Wiederaufbau verantwortlichen Architekten thematisieren mit der Gestaltung der neuen Meisterhäuser die Unschärfe der Erinnerung: Türen und Fenster werden zu abstrahierten Wandöffnungen zusammengefasst, Details weggelassen. Meine Arbeit spielt auch mit einer Unschärfe, der Unschärfe der Vorstellung und nicht der Erinnerung.

Indem sich die Hocker, auf denen die Hörenden sitzen werden, auf das Mobiliar des Raumes – die in die Wände eingelassenen Betonregale – beziehen, versuche ich den Ort nicht zu stören, seinen spezifischen Charakter als diesen Hohl- und Resonanzraum, den du beschreibst, zu erhalten. Ich denke, dass sich die Audioarbeit an diesem Ort sehr gut entfalten kann. Gleichzeitig wird vielleicht auch die Architektur von den Besuchenden im Verweilen und Hören der Arbeit noch einmal anders erfahren.

KT: Gilt dein künstlerisches Interesse grundsätzlich dem Zustand der Latenz, in dem Vorhandenes noch nicht (voll) in Erscheinung getreten ist und durch Nuancen von Veränderung plötzlich sichtbar gemacht werden kann?

MR: Ja, ich probiere die Dinge unabhängig von ihrem primären Nutzen (spannend, dass wir hier über ein Nutzungsartenverzeichnis sprechen) zu betrachten. So kommen Eigenarten des Materials zum Vorschein, die der schon-kennende, kategorisierende Blick erst einmal nicht sehen würde. Ich greife einmal mehr, einmal weniger ein. Vielleicht ist das der Blick, den Rilke beschreibt, wenn er in dem von dir zitierten Gedicht schreibt: "Die Dinge singen hör ich so gern."

Ohne Titel, Auszug aus dem Verzeichnis

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