Übergordnete Werke und Veranstaltungen

IPHONECHINA – if Apple was a state, would you rather live there or in China?

DE 2013

Apple, THX 1138 und wir

Anmerkungen zu IPHONECHINA von Christian von Borries

Die Zukunft ist da.“

(Slogan auf dem Kinoplakat von THX 1138 beim Filmstart 1971)

Stellen wir uns vor, Apple wäre ein Staat – würde man lieber in Apple oder lieber in China leben? Was für eine absurde Frage, denkt man zunächst. Genau diese Frage stellt Christian von Borries jedoch in seinem dokumentarischen Essayfilm IPHONECHINA (69 Min., 2014). Wie könnte man in Apple leben? Apple ist doch ein Unternehmen und kein Staat! Und wieso der Vergleich mit China? Um es gleich vorwegzunehmen: IPHONECHINA ist kein investigativer Film über die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Foxconn. Foxconn ist der chinesische Produzent von Apples iPhone, der in den vergangenen Jahren wegen hoher Selbstmordraten unter den ArbeiterInnen in die Schlagzeilen geraten ist. Foxconn figuriert in von Borries’ Film als Platzhalter und Symbol für einen sich weltweit ausdehnenden, ausbeuterischen Niedriglohnsektor. Während diese Arbeit jungen chinesischen Arbeiterinnen und Arbeitern einen bescheidenen Wohlstand verschafft, erlauben die konkurrenzlos niedrigen Produktionskosten dem chinesischen Staat die Modernisierung des staatskapitalistischen Systems. High tech und low pay ist das Geschäftsmodell dieser globalisierten Welt. Kurz: „Für Apple ist China ein Markt, für China ist Apple eine riesige Jobmaschine, obwohl sie die Arbeiterklasse ausbeutet.“ (von Borries)

Zehn Prozent seines Umsatzes macht das weltweit größte Unternehmen Apple im bevölkerungsreichsten Land der Welt. In China werden zudem alle Apple-Produkte hergestellt. Der kommunistisch-kapitalistische Staat behauptet, er sei auf dem Weg zu einer „harmonischen Gesellschaft“. Seit den Ereignissen auf dem Tiananmen-Platz herrscht in China eine unausgesprochene Übereinkunft mit der Bevölkerung: Der Verzicht auf politisches Engagement wird mit dem Versprechen privaten Wohlstands belohnt. Auch Apple hat eine integrale Idee von Gesellschaft, basierend auf Familie, Beruf, Freizeit, das heißt einer Individualgesellschaft von Besitzenden ohne gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb zensiert Apple den App Store und damit die Plug-ins für unser Handeln im gesellschaftlichen Raum. Die relative subjektive Freiheit ist in beiden Fällen (China und Apple) mit einer unausgesprochenen Drohung seitens des hierarchischen und undurchschaubaren Systems verbunden. Apple und China (aber auch alle Demokratien) lenken von politischem Handeln ab. Der entpolitisierte User entspricht dem entpolitisierten Bürger, dem Regeln der Zusammenarbeit nach Belieben diktiert werden, überwacht durch Soft- und Hardware. Dass der Film IPHONECHINA in den USA, in Frankreich, Deutschland und China gedreht wurde, ist dabei mehr als nur eine Ortsangabe.

Christian von Borries interessiert dabei eine Frage: Wenn heute Staaten wie Unternehmen geführt werden, werden dann auch Unternehmen wie Staaten geführt? Es geht dem Regisseur in beiden Fällen, bei Apple wie bei China, um die Wechselwirkung von Design, Gesetzen und Heilsversprechen.1 Ihn interessiert, wie sich Gesetze in Design einschreiben – und wie Design wiederum auf die Gesellschaft einwirkt. „Design is how it works.“ Der chinesische Staat wird im Westen gern als brutaler Überwachungsstaat dargestellt, der jegliche Kritik und jegliche Opposition mittels strenger Zensur und krasser Polizeimaßnahmen unterdrückt. Viele dieser Aspekte sind sicherlich wahr – aber von Borries fragt danach, ob Apple im Vergleich dazu besser ist. Was für ein Staat wäre Apple, wenn Apple ein Staat wäre? Kann man das Verhalten des Unternehmens Apple in Handlungen eines Staates übersetzen? Wäre Apple ein Staat, wäre es ein Unterdrücker jeglicher Kritik, ein Zensor und/oder Polizist?

1971 drehte George Lucas seinen ersten Film, THX 1138. In diesem Science-Fiction-Film wird eine unter der Erdoberfläche lebende Gesellschaft dargestellt, die totaler Kontrolle und ständiger Überwachung unterworfen ist. Die Menschen werden mit Hilfe von Medikamenten sediert und auf ein reibungsloses Funktionieren/Arbeiten konditioniert. Es bleibt unklar, wer in dieser Technokratie die Macht hat, und es ist auch nicht klar, ob die Machthaber Menschen oder Maschinen sind. Von Borries verwendet in IPHONECHINA ein kurzes Zitat aus diesem dystopischen Film: Man sieht den Protagonisten THX 1138 nach seiner Festnahme wegen mehrfachen Verstoßes gegen das Gesetz in einer Verwahranstalt für mental Auffällige und Unangepasste (sprich: die Opposition). Dieser Raum ist vollkommen weiß, wie auch die Kleidung der Insassen. Es gibt weder einen erkennbaren Boden, noch eine Decke oder Wände, geschweige denn eine Tür oder einen Ausgang. Alles ist perfekt weiß.2

George Lucas ist mit dieser Darstellung ein überaus präzises Bild des Paradigmenwechsels gelungen, der heute Wirklichkeit wird: der Wechsel von den Einschließungsmilieus der Disziplinargesellschaft (Michel Foucault) zu den geschmeidigen Modulationen der Kontrollgesellschaft (Gilles Deleuze). Transparenz spielt in diesem neuen Dispositiv eine wichtige Rolle. Während die von Foucault beschriebenen Disziplinargesellschaften sich durch gebaute Einschließungen (das Gefängnis, die Schule, die Fabrik, die Klinik) auszeichnen, sind diese harten Strukturen in den heutigen Kontrollgesellschaften kontinuierlichen Modulationen gewichen. Diese ‚weichen‘ Strukturen gleichen einer „sich selbst verformenden Gussform, die sich von einem Moment zum anderen verändert“.3 Diese geschmeidige Struktur zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus: 1. Transparenz (Durchsichtigkeit oder Unsichtbarkeit, die sich der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung entzieht), 2. Immaterialität (als Verbindung zwischen einzelnen Materialitäten) und 3. Performativität („Code is Law“4– Computercode wird zum Gesetz).

Im Gegensatz zu Foucaults Gefängnis sind die Wände der Verwahranstalt in THX 1138 transparent, nämlich unsichtbar. Die Wände, der Boden und die Decke scheinen gar nicht zu existieren. Egal, wie weit die Insassen gehen, sie befinden sich stets in der Psychiatrie. Entdeckt haben die Patienten nichts anderes als die „sich selbst verformenden Gussformen“ der Kontrollgesellschaft. Diese unheimlichen Räume zeichnen sich durch Transparenz, Immaterialität und Performativität aus und umschließen die sich in ihnen bewegenden Körper und Objekte zu jeder Zeit wie ein feines Netz oder Sieb, dessen Maschen sich von einem Moment zum anderen verändern. Diese sich jederzeit selbst adaptierenden Modulationen sind unsichtbar, transparent. Sie entziehen sich der menschlichen Wahrnehmung – und sind doch, da sie an jedem Ort zugleich sind, härter als alle gebauten Einschließungen zuvor. Die wirklich handelnden, performativen Strukturen sind heute transparent geworden – und entziehen sich so unserer direkten Kontrolle. Das unsichtbare, immaterielle Gesetz der zeitgenössischen Informations- und Kontrollgesellschaften ist der Programmcode.

Müssten wir zwischen der Welt von THX 1138 und dem heutigen China wählen, würden sich die meisten von uns wohl für China entscheiden. Zwar werden inzwischen auch dort virtuelle und real gebaute Oberflächen ununterscheidbar, geht Reales und Virtuelles zunehmend nahtlos ineinander über (ein unheimlicher Effekt, den von Borries bereits in seinem früheren Film MOCRACY – Neverland in Me (2012) untersucht hat). Und doch ist die Macht in China nicht anonym – wie in THX 1138. Außerdem sind Wände, Decken und Böden, Gefängnismauern und Zäune sichtbar, wir wissen also, dass sie existieren. Auch Türen und Fenster gibt es. Noch.

THX 1138 ist in von Borries’ Film die Chiffre für eine zukünftige Welt, in der wir alle in Apple leben. In dieser Welt ist alles licht und schön, man wischt leicht über einen Bildschirm, und schon wird etwas bestellt, Musik erklingt, Essen wird geliefert, das Licht gedimmt. Lang, fast zu lang hält sich die Kamera an den spielenden Kindern in einem chinesischen Apple Store auf, die, in iPhones versunken, mit kindlichen Gesten virtuelle Games-Welten erkunden. Man muss bei den Kleinsten anfangen. Sie werden aufwachsen, umgeben von schönem Design, das in sich die Gesetze einer harmonischen Gesellschaft trägt.

Inke Arms

1 Apple könnte genauso gut Nokia, Samsung, Google, Amazon heißen. Allerdings hat nur Apple sein Design so perfektioniert.

2 Ein Schelm, wer da an Colanis Apple-Design denkt. Und doch: Könnten die Gefangenen die Umrisse des Raumes sehen, würden sie sicherlich ausschließlich aerodynamische und biomorphe Formen eines Luigi Colani entdecken. Christian von Borries selbst verweist auf die weißen Hintergründe vieler Apple-Werbevideos.

3 Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: L‘Autre Journal, Nr. 1, Mai 1990.

4 „Code is Law“ stammt von Lawrence Lessig: Code and other Laws of Cyberspace. New York 1999.

Inke Arms

Einkanal- Videoinstallation 82:21 min

IPHONECHINA – if Apple was a state, would you rather live there or in China?

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