Übergordnete Werke und Veranstaltungen
Horizons & Things are always better then you think and worse then you hope for
Personen
Media
Die Meta-Erkenntnis des Raums
Der in Berlin ansässige Künstler Egemen Demirci geht der Idee des Raums hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte der künstlerischen Arbeit, der Ausstellungspraxis und Zirkulation von Kunstwerken sowie kritischer Denkansätze nach. Er arbeitet mit verschiedenen Materialien, kontextuellen Verweisen und Herangehensweisen, wobei sein Hauptaugenmerk auf unserem Lebensraum liegt und der Art und Weise, wie wir ihn verändern.Für das Werkleitz Festival entwickelte er eine großformatige textbasierte Installation mit Neonlicht auf Basis seiner kontinuierlichen Recherchearbeit, die er seit Jahren mit mirteilt. Im folgenden Interview sprechen wir über die Recherche- und Vorbereitungsphase sowie die Produktions- und Entscheidungsprozesse für diese Installation.
Misal Adnan Yıldız: Kannst du zunächst etwas über die Idee zu Horizons sagen? Wie kam es zu dem Projekt?
Egemen Demirci: Horizons ist eine Reaktion auf die weltweiten politischen Ereignisse in den letzten Jahren und auf die Probleme, mit denen wir als Nachwirkung auf diese Ereignisse heute konfrontiert sind. Kurz gesagt: Um einen grundlegenden Wandel zu erreichen, fehlt es uns meiner Meinung nach letztendlich an zwei Dingen, an Organisation und an einer tragfähigen Alternative zur derzeitigen Situation. Mich interessiert, wie solche Alternativen wahrgenommen und wie sie konstruiert werden, beide werfen für mich im Wesentlichen Probleme von Raum und Zeit auf. Dabei fasziniert mich vor allem die Idee des „Unbekannten“. Wie können wir über etwas nachdenken, über dessen Existenz wir nichts wissen? Wie können wir uns etwas vorstellen, das mit unserer Erfahrung und unserem Intellekt nicht fassbar ist? Wie können wir Dinge einbeziehen, zu denen wir im Alltag keinen Bezug haben? Und dann fragt man sich natürlich auch: Warum tun wir das alles überhaupt? Für mich sind das sehr politische Fragen. Deshalb habe ich mich mit ein paar alten Philosophen beschäftigt, mitAnaximander beispielweise (um 610/09 - 547/46 v. Chr.). Er war einer der ersten – zumindest in der westlichen Welt –, der versucht hat, eine systematische Analyse zur Konstruktion des Universums zu entwickeln. Und das war dann auch der Ausgangspunkt für das Projekt.
MAY: Was kannst du uns über deine Materialrecherche erzählen?
ED: In beiden Arbeiten, im Gasometer wie in der Technikhalle, geht es um Perspektiven. Ich habe von Anfang an überlegt, welches Material sich für die Arbeit, die jetzt im Gasometer zu sehen ist, wohl am besten eignet. Zu Beginn gab es mehrere mögliche Ausstellungsräume, jeder hätte sich anders auf die Materialentscheidung ausgewirkt. Außerdem arbeite ich seit etwa einem Jahr an einer Schrift, die aber unmöglich in Neon umgesetzt werden konnte. Als letztendlich feststand, dass ich im Gasometer ausstellen würde, wollte ich ein Material verwenden, das nicht nur innen sichtbar ist, sondern den gesamten Raum ausfüllt und zu manchen Tageszeiten sogar über den Raum hinaus zu sehen ist. Das hat etwas mit der Vorstellung von Realität zu tun, die ich in dieser Arbeit thematisieren wollte. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, Neonschrift zu verwenden. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass Licht in beiden Arbeiten das wichtigste Material ist.
MAY: Was waren während des Produktionsprozesses die wichtigsten Schritte?
ED: Interessant bei der Verwendung von durchsichtigem Plexiglas und Neonlicht war für mich die begrenzte Auswahl an Farben. Das ist ein Moment, in dem die industrielle und kommerzielle Produktion der potentiellen künstlerischen Entwicklung tatsächlich klar Grenzen setzt. Bis zu einem gewissen Grad gefällt es mir, mich innerhalb dieser vorgegebenen Grenzen zu bewegen, da es die Arbeit zu einem reproduzierbaren Original macht, ohne dass sie dafür kritisiert wird – anstatt zu einem einzigartigen, nicht wieder herstellbaren Kunstwerk, was heutzutage nicht so gern gesehen wird. Zu dieser historischen Bemerkung kann ich noch hinzufügen, dass es in den Zeichnungen zwar einen klaren Verweis auf den Suprematismus gibt, mein Ausgangspunkt jedoch nicht der Ausschluss des Gegenstands ist, sondern vielmehr die Beobachtung seiner Umwandlung von Materie in Daten. Anstatt also nach einer gegenstandslosen Welt zu suchen, geht es um die Entmaterialisierung des Gegenstands und darum, wie wir die daraus resultierende Information nutzen können, um einen bedeutungsvollen Rahmen zu konstruieren.
MAY: Was hat es mit der Struktur des Satzes auf sich: things are always better than you think and worse than you hope for [Die Dinge sind immer besser, als du denkst, und schlechter, als du erhoffst]? Einerseits scheinst du Hoffnung zu vermitteln, andererseits möchtest du, dass wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Du stehst immer im Dialog mit dem Publikum. Könnte man das als kognitiven Realismus bezeichnen?
ED: Kognition oder Erkenntnis ist für mich ein weitgefasster Begriff. Und um über den Begriff der Realität zu reden, reicht die Zeit sicherlich nicht aus, denn das ist an sich schon ein sehr schwieriges und grundlegendes Thema. Der Satz bietet, wie du selbst sagst, zwei Perspektiven, doch ist die Realität stets singulär. Das zeigt einerseits die Dialektik, die sich in unserem Leben wiederholt, und andererseits die bestehenden Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation einer kontinuierlichen und beständigen Realität. Für mich ist es unerlässlich, den Begriff der Subjektivität zu hinterfragen, die anti-kopernikanische Weltanschauung, die das Subjekt in den Mittelpunkt des Universums stellt.
MAY: Welche Zuschauerreaktionen auf deine Arbeit hast du beobachten können?
ED:Natürlich wollen Menschen Objekte anschauen und miteinander in Beziehung setzen, um Ausstellungen besser zu verstehen. Ich finde es allerdings problematisch,wenn solche Beziehungen nur im Nachhinein hergestellt werden, entweder durch den Künstler oder die Recherche, das Thema, den Prozess etc. In beiden Arbeiten galt mein Interesse mehr den strukturellen Verhältnissen, zum Beispiel dem Sprung von der einzigartigen Akustik des Gasometers, welche die Leute nahezu unmittelbar dazu animiert, selbst Geräusche zu machen, zu einer sprachlichen Behauptung. Auch in den Zeichnungen/Wandskulpturen gibt es einen sich wiederholenden Kreislauf aus geometrischen Darstellungen von Objekten und ihrer dekonstruierten Form. Es ist diese strukturelle Wendung, die mir erlaubt, aus der Historizität bzw. diesem retrospektiven Bezugssystem herauszutreten.
Misal Adnan Yıldız