Übergordnete Werke und Veranstaltungen
Faszinierendes Puppenhaus
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Uli Versum Kurzspielfilm ist seinerseits eine faszinierende Kostbarkeit, eine sehr schöne, sehr genaue Arbeit über höchst ungenaue Gefühle, diffuse Stimmungen und latente Ausbrüche. Dem Film ist es ernst mit dem Melodram im Puppenhaus, gleichzeitig geht er ironisch und vertrakt auf Distanz und reduziert das Kinder-Universum auf ein Blend-Werk. Es wird ein- und weggespiegelt, ein-, aus- und überblendet, daß es eine experimentelle Kunst ist. Uli Versum, das große Kind, das mit dem Puppenhaus spielt, und das bringt uns den Film nah. Es gilt nicht,ein Avantgarde-Werk zuwürdigen, sondern sich an etwas zubeteiligen: mitzuerleben, mitzuleiden inbegriffen,, vor allem aber mitzuspielen. (...)
Uli Versum also gelingt es, sich mit seinem Film ganz unangestrengt den Zuschauern zu nähern, und das möchten wir als große Besonderheit notieren, wenn wir mit dem Film „faszinierendes puppenhaus“ gleichzeitig ein höchst kunstvolles Werk der Avandgarde vor Augen haben. Er ist ein Schau-Meister, Animator, Mittler, der etwas in uns auslöst und bewegt, das noch lange anhält, wenn die Show längst gelaufen ist. Die Geste, die Gebärde ist es, die zählt. Die Kunst, den richtigen Ton zu treffen. Die Magie, aus Licht und Schatten ein Universum entstehen zu lassen, und wenn es die Welt eines Puppenhauses ist, das sich selbst genügt. Ein paar Worte sich erlaubt, Zwischentitel sozusagen. Wir sprechen von der großen Kunst des stummen Films. Uli Versums Film ist kein Stummfilm. Aber er spart sich die Worte, die viel zu schnell festlegen und erledigen würden. Wir hörenstatt dessen auf das Atmen der Kinder im Puppenhaus, und wir hören das Krachen, mit dem die Blitze einschlagen. Ohne das es, daß die Kommunikation zwischen den Kindern und der wilden Natur draußen klappt; es scheint gar, daß Blitz, Donnerschlag und Feuersbrunst magisch beschworen werden können. Dagegen kommen Kinder-und Erwachsenenwelt nicht zusammen, und schon gar nicht auf der vabalen Ebene. Der dreiteilige Spiegel auf dem mütterlichen Frisiertisch erfaßt das Puppenhaus, er gewährt jedoch keinen Zugang zu den Kinder, die von etwas anderem, nicht näher Definiertem erfüllt und fasziniert sind. Starr und stumm blickt die Mutter auf dem Tisch herum.
Auf dem Beistelltisch, ein Spitzendeckchen, sogar aufgeschichtet, liegen die Telefonbücher. „Mutters Kinder leben im Puppenhaus“ ist einem Zwischentitel zu entnehmen. Und „Ades ist heimgekehrt zu Mutter und Schwester“. Ades Zabel und Uli Versum treten auf in Kostümen vom Zuschnitt der bekannten Pupenkleider, hineingespielt in ihr Reich, das zwar dem Blick der Mutter ausgesetzt ist, ihr aber nicht zugänglich ist. Das Beistelltisch-Universum zieht jedoch die Blitze an. Ein strahlender Kinderblick auf die Naturgewalt: die Tränen werden zu Perlen - einerseits, die süße Stupsnase wird zum Riesenschwengel - andererseits. Die Wonnen der Regression haben etwas Katastrophales. „In dieser Nacht ist Ades gestorben“, sagt ein Zwischentitel, während die Feuersbrunst schon das Mobiliar ergreift, das eindeutig das der mütterlichen Wohnung ist. „In dieser Nacht ist Mutter gestorben.“ Und: „Das Puppenhaus wurde nie wieder gesehen.“ Der Schluß leuchtet ein, so sehr es im Film glüht und wabert: von der Mutter kann das Kinderreich nicht mehr gesehen werden, was nicht besagt, daß es irgendwo existiert.
Dietrich Kuhlbrodt in: Dokumentation Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 1987