Übergordnete Werke und Veranstaltungen
Dom zu Speyer
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Heutzutage sind es nicht Wegkreuz oder Andachtskapelle, sondern riesige Plakatflächen in Straßenzügen, die zum Innehalten auffordern. Nicht Innenschau, sondern Nabelschau der neuen Heiligen der Modewelten künden in jeder Stadt auf überdimensionierten Bildtafeln von den Erfüllungen einer heilig-heilen Welt der Schönen, des Luxus und der Eitelkeiten. Die Idee von Transzendenz ist der Ästhetik des Seins gewichen. Je weniger Vision, desto vollkommener die Inszenierungen der ‚Welt der Wunschökonomie’. „Und ganz entsprechend kauft der postmaterialistische Kunde keine Güter, sondern Geschichten, Gefühle, Träume und Werte.“4
Wände, Türme, Sockel, Türen, selbst die Turmkreuze des stark verkleinerten Doms zu Speyer von Hans Hemmert sind lückenlos überzogen von Abbildungen konsumistischer Anbetungsgegenstände unserer Zeit, wie den unbezahlbaren Echtledertaschen und Schuhen, Strumpfhosen oder Accessoires von Louis Vuitton Melletier, Paris. Der Dom zu Speyer erfährt seine radikale Verkleinerung zu einer assemblierten Handtasche, die man sich lasziv getragen von einem der gleichsam darauf abgebildeten Topmodels vorstellen könnte: Das Marken-Täschchen als der mit den Insignien des Designers versehene Minialtar, als ständiger Begleiter und Seelsorger.
Geschmückt mit den Ikonen von heute und reduziert zu einer einzigen Werbe- und Projektionsfläche erzählt der Dom von den Verführungen und Wiederverzauberungen des Konsums. Er bietet ein scheinbar unendliches Angebot von Antworten auf die Bedürfnisse des Individuums, das sich unerschütterlich seinen Weg durch den Glaubensmarkt bahnt. In Zeiten von Kirche und Kapital ist die religiöse Aufladung von zeitgenössischen Heiligenbildern garantiert. Katholizismus und Konsum teilen die Gemeinsamkeit einer ‚Augenreligion’.
Angelika Richter (aus Ausstellungstext: Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern)
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4 Norbert Bolz: Das konsumistische Manifest Wilhelm Fink Verlag, München 2002, S. 109.