Das erste Fernsehen
Media
Auch wenn Telefon und Radio schon früher Menschen in Echtzeit verbunden haben, so ist das Fernsehen ein besonderer Meilenstein in der Live-Schaltung der Gesellschaft. Es ermöglichte "durch die Beteiligung unseres höchsten und edelsten Sinnesorganes, des Auges" (Eröffnungsansprache des deutschen Fernsehrundfunks), an fernen Ereignissen zeitsynchron teilzuhaben. Das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Welt ging 1935 im nationalsozialistischen Deutschland 'On Air' und so hatte, wie es im vollen Pathos hieß, "die Zeit eines unbegreiflichen Wunders begonnen ... die Völker sehend zu machen." Seltsamerweise jedoch hatte die so effektive NS-Propaganda den Wert des Fernsehens gering geschätzt und so ermöglichen die handwerklich oft wenig gestalteten Dokumente einen einzigartigen Blick nicht nur in die Frühzeit des Mediums, sondern auch auf die nationalsozialistische Gesellschaft ohne deren sonst übliche propagandistische Überhöhung. Da es in der Frühzeit des Fernsehens keine Möglichkeit gab, die Sendungen aufzuzeichnen, sind die Filme dieses Programms für das Fernsehen auf Film vorproduziert worden. Auch ein Kinofilm über das Fernsehen und die ihm innewohnenden, damals völlig neuen, Möglichkeiten der Überwachung ist Teil des Programms. Für einen Abend verwandelt sich der Kinosaal in eine Fernsehstube, wie die öffentlichen Vorführungsorte – Vorläufer des Public Viewings – im Dritten Reich hießen. Das Programm wurde von Marcel Schwierin für die transmediale.11 kuratiert.
Sendezeichen und An- und Absagen des Deutschen Fernseh-Rundfunks (Ausschnitt), 1935, 3 min
Eine Sammlung von Sendezeichen des "Deutschen Fernseh Rundfunks". Die An- und Abmoderatorin des "Fernsehsenders Paul Nipkow", die offensichtlich standardmäßig in das Programm eingeschnitten wurde, entsprach ganz dem nationalsozialistischen Ideal. Blond und forsch verkündet sie "Zum Ausklang des Abends: Marschmusik" und "Auf Wiedersehen bei der nächsten Sendung. Heil Hitler!"
Fernseh-Großbildstellen, 1937, 5 min
In der Frühzeit des deutschen Fernsehens gab es kaum Empfangsgeräte. Fernsehen wurde kollektiv in so genannten Fernsehstuben gesehen, von denen es zwei Typen gab. In den einfacheren waren Fernsehgeräte aufgestellt, es gab aber auch über Spiegel vergrößerte Fernseh-Großbildstellen. In den Fragmenten dieses Films sieht man solche Abspielorte. Das aus ihnen herausströmende, begeisterte Publikum hingegen war gestellt, wie man an der Wiederholung der Aufnahmen sehen kann.
Werkfilm der Fernsehtechnik, 1939, 9 min
Fragmente eines Filmes über die Fernsehtechnik. In ihrer dekontextualisierten Form bekommen die sehr sorgfältig gestalteten Einstellungen etwas Rätselhaftes, die an künstlerische found-footage Filme etwa eines Bruce Connors erinnern.
Vorbereitung Reichsparteitag, 1936, 13 min
Die Reichsparteitage waren die propagandistischen Höhepunkte der nationalsozialistischen Selbstdarstellungskultur. Freund und Feind sollten in der "Ästhetisierung der Politik" (Walter Benjamin) die unüberwindliche Macht der nationalsozialistischen Bewegung verdeutlicht werden. Der Film Triumph des Willens von Leni Riefenstahl galt schon im Dritten Reich selbst als die vollkommene Verkörperung dieser Idee. Ganz anders dagegen dieser Fernsehbericht. Der Organisator der Parteitage, Robert Ley, wird auf dem Nürnberger Flughafen interviewt. Weder der Reporter noch Ley können mit dieser indirekten Form der Kommunikation umgehen, bei der der Interviewte eigentlich zum Reporter spricht, sich in Wirklichkeit jedoch an eine unbekannte Anzahl unsichtbarer Fernsehzuschauer adressiert. Der Parteitag selbst erscheint auch wenig dynamisch, wobei nicht ganz klar wird, ob das eher am schlechten Fernsehbericht oder am Parteitag selbst liegt.
Wer fuhr IIA 2992?, Karl G'schrey, 1939, 15 min
Seit George Orwells 1984 wird der Zusammenhang zwischen Kommunikationstechnologie und Überwachung intensiv diskutiert. Überraschend dagegen ist, dass schon 1939 das gerade erst auf Sendung gegangene Fernsehen bei der Aufklärung von Verbrechen behilflich sein sollte. Einem Tankwart fällt ein durch einen Unfall beschädigter Wagen auf. Er merkt sich das Kennzeichen. Am selben Abend in der Fernsehstube wird live nach dem Fahrer gefahndet, der Fahrerflucht beging. Mittels Fernsehsprechstelle wird eine virtuelle Gegenüberstellung improvisiert. Doch der Besitzer des Wagens war nicht der Fahrer. Den erkennt der Tankwart aber durch Zufall bei der Übertragung eines Pferderennens im Publikum. Der Schurke wird gefasst. Dieser Kurzspielfilm wurde für das Kino produziert.
Karl G'schrey – Regisseur, Autor, Produzent. Filme unter anderem: Kolumbianische Impressionen (1960); Gewebte Natur (1960); Schöpfung ohne Ende (1958); Forschung und Leben (1957); Du und Dein Auto (1949).
Bauernarmut im Sowjetparadies, 1941, 5 min
Ein bedrückendes Fragment ohne Ton. Man sieht ein durch die Wehrmacht erobertes Dorf und die in ihm lebenden Menschen. Während der Titel die Absicht der Propaganda verdeutlicht, die Sowjetunion zu diskreditieren, fragt man sich heute vor allem, was wohl mit den verängstigten Menschen geschah, nachdem die Kameras abgeschaltet wurden.
Kalenderblätter "August 1943" (Ausschnitt), 1943, 18 min
Die wahrscheinlich bedeutendste Aufgabe des Fernsehens im Dritten Reich war die Versorgung der Soldaten mit Informationen, besonders in den Kriegslazaretten. Die Kalenderblätter waren eine Art Nachrichtenmagazin, die ein buntes Potpourri an beruhigenden und erbaulichen Meldungen aus der Heimat brachten. Der vorliegende Film versucht den idyllischen Sommeralltag in Berlin einzufangen, der im scharfen Kontrast zu dem eigentlich schon verlorenen Krieg stand.
Wie baue ich meinen Ofen selbst?, 1943, 8 min
In dem damals technisch aktuellsten Medium wird die recht archaisch anmutende Anleitung für den Bau eines häuslichen Herdes für die Ausgebombten gezeigt. Die dem Nationalsozialismus so oft zugeschriebene Verbindung aus Mythos und Moderne in der Technik bekommt hier den Charakter eines ironischen Abgesanges auf das 'Tausendjährige Reich'. Gleichzeitig ist die Sendung auch ein Vorläufer der bis heute so beliebten Do-it-yourself Kultur.