Übergordnete Werke und Veranstaltungen

Kaufen: Leib-Bücher/Schuh - Kleber; Fragmente einer Annäherung

DE 1999
Sonntag
9.7.2000
20:00

Wie soll das nur gehen, dass der Abstand die Seele des Schönen ist und die Schönheit die Tochter der Angst?

Fragmente zu einer fehlenden Euphorie.

Der Leib, der Körper und die Medien, die es so nicht gibt. Da der Mensch ein Leib ist und einen Körper hat, entsetzt er sich mit seinem Leben einem Problem, dem Riss, ein Bild zu sein und ein Bild von sich zu machen. Die Performance-Art ist der Ort, in dem der Riss sich als Entsetzen zeigt. Die Sprache, die dort zum Sprechen kommt, ist die Sprache des Peinlichen und der Infamie. Wenn keine Sprache zum Sprechen kommt, ist es das Nur der Anwesenheit, das Ausreichende an sich.

Die transzendentale Schuld (woher auch immer) als Nexus. Als Rohes, als nacktes Schema sagt dieses: Was die Menschen verbindet ist „Das Ding“, das absolute Objekt des Begehrens, das die „Verschmelzung aller in der gemeinschaftlichen aufgehenden Unterschiedslosigkeit“ befiehlt.

Das Grauen als Wille und Vorstellung.

Verwahrlosung kommt aus der Mitte der Gesellschaft, nicht von den Rändern. Sie wird auf lange Sicht nur zunehmen. Man lebt dann mit unerträglichen Spannungen und unerträglichen Gleichgültigkeiten. Dies ist alles absehbar, im Wesentlichen schon anwesend. Die Zeit entwickelt nur noch dilatorische Wirkung. Es ist dann schlimm, in die falsche Abfolge zu geraten, in welchem Geschiebe und Gedränge man dann steht. Das Heer der Toten und Verstümmelten, das der westliche Fortschritt und mit ihm im Stechschritt, die Moderne, vor sich her treibt, ist so real.

Und keine Schamesröte zierte je die Avantgarde.

In all diesen Weisen der Veröffentlichungen der Verwahrlosung geht es um mögliche Wendungen des Verwendbaren, der Waffencharakter, deren Virtualität rituell hervorgehoben wird, vor allem in der Zeremonie der Entweihung, durch die die Schwelle zwischen Herstellen und Gebrauchen, Erzeugen und Missbrauchen überschritten wird. Diese Schwelle wird bei der Überschreitung feierlich gewidmet in der Scham, da ja in der Verwendung auch die Ent-Wendung liegt.

Die Dinge bieten stets mehr als bekannte Verwendungen an; selbst wo sie außer herrschendem Gebrauch sind, oder vielleicht gerade dann schillert an ihnen ein rätselhafter geahnter und doch unbekannter Reichtum, für den man nicht einmal die Idee einer Verwendung hat und doch schon in einer Wende mit ihm steht. Der Leib benötigt den Körper nicht, der Körper ist ohne Leib nicht existent. Gewalt regt sich.

Dass das Peinliche der Indikator des Risses ist, wo immer er anwesend. Wer ihn aufspürt, kann unsere Sitten und Gebräuche bis in die tiefsten, feinsten und verborgensten Spalten erforschen, die gepflegte Vivisektion.

Der Defekt der Moderne liegt in ihrem Avantgardebewusstsein. Dieser Makel der Anpassung, der Erwartung, dass die Welt in ihrem Fortgang auf die Künstler warte. Am Ende wird das Eingeständnis unumgänglich sein, dass diese Künstler von der Verantwortung für die totalitären Epochen nicht freigesprochen werden können. Indem sie sich in der Avantgarde sahen, übernahmen sie auch Verantwortung für das, was in der Etappe geschah (Jean Clair).

Einwand: Ich habe gelesen: Ständig erbricht er sich unterwegs, auch in des Vaters neuen Opel Admiral, und er leidet bei allen unpassenden Gelegenheiten an einer Trigeminusneuralgie, einem krampfartigen Grinsen, das seinen Vater stets in Rage bringt.

Ein Terror liegt über dem Land.

Kritik der Entgrenzung in der Mediatisierung – Medien antworten nicht, Körper fragen nicht. Schelmenfleisch, Herrschaft des Globalen, das nicht lineare Medium ist das Produkt der aufmerksamen Betrachtung.

Die falsche Anpassung, die Akzeptanz durch Überbietung als Medienfrage? Der Popularisierung der Medien geht einher mit ihrer Risikolosigkeit gegenüber der Gesellschaft und dem Leben. Die Sphäre des Leibes wurde der Sphäre des Körpers symmetrisch angepasst, Kontext herstellen ist diese Devise.

Ich träumte, dass ein Mensch vom Himmel fiel und es kümmerte mich nicht.

Das Primat des Bildes: Die Nicht-Vermengung der Erkenntnismedien mit der Tendenz, kognitive Signale aufzulösen zu Gunsten einer Unmittelbarkeit.

Der Bogen ist zu spannen zwischen den Aussagen: Performance ist Leben, worauf ein Medium gerichtet ist (Franklin Aalders); das einzige Medium von Qualität ist jeder andere Mensch (B. N.) und dem Satz von Plessner: Das Problem des Menschen ist, dass er ein Leib ist und einen Körper hat.

Das Unsägliche und das Verträgliche.

Dieser Riss ist die Entdeckung des „Mediums“ und hier erfasst mich ein heiliger Zorn: Der Riss liegt nicht zwischen Geist und Körper, denn dies sind die zwei Seiten der Medaille. Wenn Schnittstelle, dann an den richtigen Stellen. Wo ist das Messer anzusetzen.

Warum Zorn: Es ist wider die Herrschaft und wider dem Anspruch der Medien, die Entleiblichung voran zu treiben, da ich doch für jeden Fakt des Kannibalismus, den Akt der Einverleibung, plädiere.

Mediale Körper sind nicht nur als formgegebene Hardware (Videoskulptur, audiovisuelle Skulptur, Models) und formgegebene Software (Audiotapes, Hörspiele, Videoproduktionen, Filme oder Computer-Animationen) zu verstehen, sondern auch kontextbezogene Objekte (projektorientierte Hardware) sowie Objekte im Mikro- und Makrobereich, die temporär mediale Träger sind und werden, und wenn nichtformgebundene Software (der Gedanke an sich) Strukturen hat, die „Mediale Körper oder Plastik“ sind, … interessiert mich das?

Item: Wenn sie der „Performance“ neben dem klassischen Kontext der gesellschaftsbildenden Handlung, neben der individuellen Performanz, der richtigen Rede, dem temporären Entertainment eine ursächliche Eigenschaft des „Bildes von Präsens“ als Handlung zugestehen (medial frei, da selbst Medium und fähig jedes Medium zu jeder Zeit als Aneignung zu nutzen), ist es die Nähe des Leibes, vor dem Riss.

Item: Wenn „inszenierter, mediatisierter Raum“ nicht nur meint, sich in virtuellen Räumen zu bewegen, sondern die Fragen im Vorfeld bedingt: Welche Medien sind für welchen Raum - Grund welcher Bedingungen - Voraussetzung, und wenn davon ausgegangen werden kann, dass inszenierte Räume primär Handlungsräume sind, in denen ein oder mehrere Medien wiederum auf ein oder mehrere Medien gerichtet sind und diese Entscheidung meint, die weit vor jeder Animation getroffen werden müssen (inszeniert für was?), ist das Grund genug?

Wie kommt der Leib zu seinem Körper? Es ist davon auszugehen, dass ein erkennendes Wesen auf einem spezifischen Punkt geortet, von einer irgendwie gearteten Wirklichkeit sein Augenmerk auf etwas richtet. Dieses Richten des Augenmerks geschieht mittels eines Instrumentariums, das ein Medium genannt werden kann, ein Medium ist. Das Spektrum der Medien ist zu sehen von der Intention Begehren und Wille auf der einen Seite bis über jede Form von Werkzeug, elektronischen Geräten und Maschinen, bis zu jedem Diskurs über Wirkung und Öffentlichkeit der Macht, wobei Macht mit Souverän sein gleichgesetzt werden will.

Der Leib in seiner radikalen Grundlosigkeit wird jeder Medientheorie den Medusenblick entgegenhalten, die ihr das Verschwinden jenes Prozesses der Imagination vorhersagt, der das Abwesende repräsentiert. Das Abwesende ist die Anwesenheit dieses Blickes der Existenz. Wer diesem Blick nicht standhält in den Stimmen der Bilder wird Kleiderständer grassierender (Medien)-Theoriemoden.

Dem inflationär im Nutzen liegenden Begriff Körper ein kritisches Instrumentarium entwickeln; den Leib dem maßlosen Sog der Intelligenz der Sinne übergeben.

Die Aktualität der Subversion des Leibes liegt darin, dass er als semantische Entlarvung, also Depotenzierung der offiziellen Symbolsprache wirkt, die Vivisektion. Die innere Analogie, Poesie und Wissenschaft verfehlt den Leib-Körper Diskurs vollständig.

Ich habe gelesen: „Drei Knaben schreien und traktieren einander, schießen sich mit Zündplättchenpistolen in die Schläfen.“

Medium: In der offenen Brutalität dieser Nachkommenschaft steht unser aller Gewaltverzicht auf dem Spiel. Das tut er nicht im Kämpfen an sich, sondern nur in den regellosen, enthemmten Formen der Angriffslust. Man hat bei uns jede Moral des Kampfes vernachlässigt, so vor allem die Würde des Gegners zu achten. Die Quelle des Übels ist Formlosigkeit. Aus formloser Friedfertigkeit ging formlose Gewalt hervor. Der Fremde (der Andere) als klar definiertes Endlager des moralischen Giftmülls des eigenen Ichs.

Medium: Wenn Fakten Akten werden, das Serienverbrechen. Diese Art von Verbrechen ist geradezu geschaffen, zufällig gefilmt und sofort gezeigt zu werden, zu intensivieren, zu verdichten und das Bedürfnis zu wecken, es wieder zu tun.

Medium: Und dass das Publikum immer mit Verstörung reagiert, wenn Menschen die Riten der Kunst denunzieren, um in eine Freiheit einzutreten, die Rück-Sichtslos ist.

„Der Begriff des - sinnlichen Widerstands - wie wir ihn verwenden, impliziert nicht ein sich bewusstes Sich-Wehren einzelner oder Gruppen der Gesellschaft, sondern eine eher vorbewusste Verweigerung geforderter Anpassung an neue soziale Strukturen durch Regression. Die Regression bezieht sich auf religiöse, magische und mentale Potentiale des Leibes, die die Sinne als Werkzeuge nutzen.

Die Performance.

Geschrieben stand: „Zu einem siebenjährigen Mädchen in Flehingen sprach eines Tages sein Taufpate: Wenn du morgen in der Frühe aufstehst, so unterlasse zu beten, kämme und wasche dich nicht und komme gleich zu mir herüber, da will ich dich etwas Schönes lehren. Das Kind machte es so und lernte von der Frau, Milch aus einem Handtuch melken. Hieran hatte es solche Freude, dass es beim Heimkommen seinem Vater gleich seine Kunst zeigte. Da öffnete ihm derselbe eine Ader und ließ es sich verbluten, indem er es beschwor, ihm kund zu tun, ob es in den Himmel oder in die Hölle gekommen sei. Als das Mädchen tot war, kam ein Rabe auf das Haus geflogen und schrie: Wer der Performance einmal verschworen, ist auf immer und ewig verloren!“

Da freut sich das Kleinhirn.

Boris Nieslony (D), Kaufen: Leib - Bücher/Schuh - Kleber; Fragmente einer Annäherung, Lesung vor der Performance "MA" am 9.7.2000, Tornitz

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