6. Werkleitz Biennale

Common Property / Allgemeingut

Mittwoch
01.
 
 
Sonntag
5.9.2004

Ausgangspunkt der kuratorischen Konzeption der 6. Werkleitz Biennale sind Konflikte und Debatten, die sich aus der Verschärfung bzw. der verschärften Durchsetzung von Patent- und/oder Copyright-Verordnungen im Bereich von Kunst, Film, Musik, Software oder in der Biotechnologie ergeben.
Diese werden von KünstlerInnen und KulturproduzentInnen nicht allein aus der Position des Beobachters oder "Betroffenen" wahrgenommen, sondern die Auseinandersetzungen werden vielmehr aktiv geführt, kommentiert und z.T. forciert. Entscheidend für die Konzeption der Biennale ist die Kritik an jener populären und wirkungsmächtigen Argumentation, die mit der Krise der sogenannten "Wissensgesellschaft" und deren Eurozentrismus einher geht und den Autor/die Autorin gegen ein kollektives kulturelles Interesse/"Wissen" ausspielt.
Mit dem Copyright und dem Patentrecht werden Privilegien festgeschrieben und territoriale Ansprüche fixiert, die bei der Produktion und Durchsetzung spezifischer - und größtenteils profitabler - "Wahrheiten" zwischen legitimen und illegitimen Wissensformen unterscheiden und deren Ausschlusskriterien unter anderem auch in Aufschreibetechniken, Kartografierungs- und Katalogisierungsverfahren Niederschlag fanden und finden.

In der aktuellen Auseinandersetzung um geistiges Eigentum wird die Privatisierung von Wissen durch die Implementierung neuer Gesetze erleichtert. Die Ausweitung von Rechten erfolgt zumeist über die Verhandlung bzw. das Schaffen von Präzedenzfällen. Beispielsweise reichen sowohl das Recht zur Vervielfältigung als auch die an die AutorInnenschaft geknüpften Privilegien weit über den Bereich immaterieller Produktion und des "Wissens" hinaus und trotzdem werden hier Exempel statuiert, die der Legitimierung einer dabei gleichzeitig (insbesondere technologisch begründet) zunehmend uneindeutig zu fassenden AutorInnenschaft dienen.

Ausgehend von der aktuellen Verschärfung von Eigentumsverhältnissen sowie historischen und zeitgenössischen Debatten um die Konzepte von Privateigentum und Kollektiveigentum fragt die Werkleitz Biennale entlang dem Thema Common Property/Allgemeingut nach gemeinsamen Bezugspunkten von offenen Netzwerken, künstlerischen und aktivistischen Strategien sowie kollektiver AutorInnenschaft. Gemeinsam mit KünstlerInnen und KulturproduzentInnen entwickelte das kuratierende Team eine Reihe von Schwerpunkten. Diese umfassen spezifische Aspekte der Wissensproduktion und der kollektiven Praxis, interventionistische Strategien im öffentlichen, privaten, medialen und digitalen Raum sowie Arbeiten zu Fragen der Biotechnologie.

Die zentrale Fragestellung von Ausstellung, Film und Videoprogrammen sowie zahlreichen Live-Veranstaltungen der Werkleitz Biennale ist: Was ist es, das allen gehört? Was von dieser Vorstellung des Allgemeinguts gilt es zu erhalten bzw. umzusetzen? Welche Konzeptionen und Vorstellungen sind hinfällig geworden? Und wie lässt sich schließlich dieses Allgemeingut schützen?

Wissensproduktion und -distribution
Mit dem neuen Standort der Werkleitz Biennale, dem Volkspark in Halle, stellen sich in situ Fragen nach der historischen wie aktuellen Bewertung von AutorInnenschaft und Eigentumsrechten. So ziehen sich Konflikte um Aneignungen und Umwertungen durch die gesamte dokumentierte Geschichte des Volksparks. Die sich in der Gründung, in wechselnden Eigentumsverhältnissen und wechselnden Nutzungen des Volksparks eindrücklich manifestierenden Modelle der Vermittlung und Produktion von Wissen und die damit einher gehenden unterschiedlichen Vorstellungen von Gemeinschaft, Gemeinwohl und (politischer) Kultur und Gesellschaft werden einer kritischen Revision unterzogen.
Angesichts der zunehmenden Dezentralisierung und verstärkten Organisation des Wissens in den 'Netzen', stellt der Volkspark ein mittlerweile obsolet gewordenes Modell zentralisierter Wissensvermittlung und historischer Wissensproduktion dar.
Als installative Interventionen im Volkspark werden sogenannte Inserts in Referenz auf historische künstlerische Entwürfe kollektiver und proletarischer Kultur u. a. auch die Bedeutung und künftige Funktion des Austragungsorts neu bewerten.

Die Halle School of Common Property bietet im Vorfeld der Werkleitz Biennale ein Forum für die aktive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten außerinstitutioneller und alternativer Kultur- und Wissensproduktion.

Neben der Aneignung von Wissen stellt sich mit dem Speichern, Löschen, Systematisieren und Nacherzählen von Wissen die Frage nach der Definitionsmacht und den Widersprüchen des kollektiven Gedächtnisses, nach den Archiven, dem Gemeinwissen und der persönlichen Wiedergabe. Was also sind die Grenzen und Bedingungen mündlicher, schriftlicher und bildlicher Tradierung, der Techniken des Kopierens, des Reproduzierens und Zusammenfügens hin zur De-Konstruktion von Wahrheit und Geschichte (der Wissenskultur)?

Kollektive Kulturproduktion
Network of Commons intendiert eine Zusammenführung aktueller Strategien der weltweiten Vernetzung von AktivistInnen und Gruppen, die an der freien Produktion, der uneingeschränkten Verfügbarkeit, dem Austausch, der Kopierbarkeit und Nutzbarkeit von Wissen und Informationen im digitalen Bereich arbeiten. Innerhalb der zunehmenden Verrechtlichung und damit Reglementierung verschiedenster Wissensgebiete stellen diese Strategien relevante Ansätze gegen das Bestreben dar, kulturelle und natürliche Ressourcen zu monopolisieren und auf dieser Grundlage zu verwerten. Network of Commons macht die Bezugnahmen dieser Netzwerke sichtbar.

Die Ausstellung umfasst zudem künstlerische Positionen, die im Rahmen ihrer "kollektiven" Praxis wirksam in der Öffentlichkeit auftreten und dort ein gemeinsames Produzieren, Replizieren und Fortschreiben ermöglichen. Filme und Videos der Biennale gehen der Frage nach den Grundlagen, der Machbarkeit sowie den Grenzen historischer und gegenwärtiger kollektiver AutorInnenschaft nach.

Interventionistische Strategien
Fokus dieses Schwerpunkts ist das Potenzial individueller und kollektiver künstlerischer und aktivistischer Praktiken, die unter den Bedingungen der Globalisierung bestehende Ordnungssysteme hinterfragen und neue immaterielle und materielle Räume zu definieren suchen. Zur Diskussion gestellt werden Interventionen im zunehmend kommerzialisierten und privatisierten urbanen sowie medialen Raum, die dessen Strukturen und Zeichen aufnehmen, kopieren und neu setzen. Dies beinhaltet Sticker- und Graffiti-Kampagnen, temporäre Eingriffe und kollektive Nutzungen eigentumsrechtlich ungeklärter Räume sowie neue Formen der Verhandlung und Verteilung von Information.

Realismus
In der Abgrenzung kollektiver gegen bürgerlich-elitäre Kultur stand immer wieder eine unter verschiedenen Namen geführte Realismusdiskussion zentral. Realismus als ein sich in allen unterschiedlich von Bildungs- und Klassenunterschieden realisierendes Bild sagt darin viel über die kollektiven Sehgewohnheiten einer Gesellschaft aus. Wenn es um eine allgemeingültige Mitteilung gehen soll, deren Bildgehalt nicht formal, sondern vor allem inhaltlich sein Thema treffen sollte, wurden und werden realistische Bildelemente eingesetzt. Der Bruch mit dem realistischen Bild bezeichnet vielleicht auch am stärksten die Behauptung von Handschrift, AutorInnenschaft und Individuum und damit das Wechselspiel zwischen Autonomie und Heteronomie, das zu Beginn der Moderne steht.
In einem Ausstellungsteil werden eine Reihe von Arbeiten gezeigt, die aus den verschiedensten Gründen die realistische Zeichnung verwenden und damit auf die Behauptung allgemein lesbarer Bildaussage setzen.

Biotechnologie
Werden im kulturellen Feld Copy- und Urheberprobleme vor allem an der Figur der Autorin/ des Autors diskutiert, so sind es innerhalb einer größeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung korporierte Strukturen, die auf eine Ausdehnung von Urheber- und Patentrechten drängen. Dabei werden - mittels der technischen Beschreibbarkeit biologischer Vorgänge - patentierbare Codes entwickelt, die, geschützten Software-Quellcodes vergleichbar, den Zugang zu Wissen und Informationsverteilung in den Verwertungsgesellschaften zentralisieren. Chemische und pharmazeutische Konzerne investieren in die Erforschung transgener und genmanipulierter Produkte und nutzen das Patentrecht, um sich den Zugriff und die kommerzielle Nutzung der pflanzlichen Artenvielfalt, vor allem eine Ressource des globalen Südens, zu sichern. In diesem Zusammenhang dokumentiert die Werkleitz Biennale aktuelle Interventionen, die sich gegen die Privatisierung von Lebensgrundlagen richten sowie Einblicke in globale Strategien der Patentierung natürlicher Substanzen und kollektiven - so etwa indigenen - Wissens geben.

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