Kulturlandschaft als ZOO-Natur - Thesen für die Entwicklung der gleichnamigen Exkursion durch das Untere Saaletal
Kulturlandschaft als ZOO-Natur - Thesen für die Entwicklung der gleichnamigen Exkursion durch das Untere Saaletal
Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu sein.
Schaue grünend Wies’ an Wiese,
Anger, Garten, Dorf und Wald. –
Komm nun aber und genieße,
Denn die Sonne scheidet bald. –
(Johann Wolfgang von Goethe, Faust Zweiter Teil, Fünfter Akt • Offene Gegend)
Natur als Kulturlandschaft:
Monokulturen und die Vergrößerung von Ackerflächen, ermöglicht durch den Einsatz von Mineraldünger und Technik, führten seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Veränderungen des Landschaftsbildes. Sachsen-Anhalts Landschaft ist von ihrer Bewirtschaftung geprägt. Umfangreiche Agrarflächen, Bergbau und Wasserbauten bestimmen das Terrain jenseits der Städte und Industriareale. Orts- und Gebietsnamen im Bundesland, wie zum Beispiel Friedrichrode, Rotacker, Ludwigsfeld, Hohenweiden, Dölauer Heide, Saurasen und Kelbra, zeugen von früher Landnahme durch Rodungen und einer Nutzung für Ackerbau und Viehzucht. Der Harz und das Mansfeld sind historische Bergbaufolgelandschaften, hier wurden über Jahrhunderte Silber und Kupfer abgebaut. Das oben angeführte Beispiel von den Rodungen lässt nicht allein auf Landnahme, sondern auch auf eine Holznutzung für den Bergbau schließen. Hinzu kommt der Holzbedarf für Kriegsbauzwecke. Allein im Dreißigjährigen Krieg wurden nicht nur zahlreiche Städte geschleift, Magdeburg gilt hier als prominentes Beispiel, sondern auch in großem Umfang Naturräume zerstört, sei es durch anhaltende Schlachten und Truppenbewegungen oder durch Baustoffgewinnung für Schanzarbeiten.
Dies zeigt: Wir finden die uns umgebende Natur stets als Kulturlandschaft vor. Denn auch jeder Fund frühgeschichtlicher Siedlungen im scheinbar unberührten Wald ist Zeugnis für eine Natur nach der Natur. Dies betrifft Sachsen-Anhalt ebenso wie weite Teile Europas.
Die Teufelsmauer bei Weddersleben, © Werkleitz 2011
Natur als Idee von der Heimat:
Deutschland ist neben England das von der Industrialisierung in Europa am meisten geprägte Land.
Städte wuchsen über anliegende Felder und Dörfer hinaus. Die Rohstoffe für die zunehmenden Bautätigkeiten und den wachsenden Bedarf an Energie wurden im unmittelbaren Umland der Städte durch Bergbau und Rodungen gewonnen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts mussten Wiesen, Äcker und Dörfer ersten Großprojekten wie Talsperren und Tagebauen weichen. Naturschutzbestrebungen Ende des 19. Jahrhunderts rekurrieren auf die zunehmende Veränderung der Landschaft im Zuge der Industrialisierung. In den Überlegungen zum Naturschutz spiegelt sich auch stets der Verlust an Heimat wider.
Die Belange von Natur- und Heimatschutz gehen seit jeher fließend ineinander über. Als erstes Naturdenkmal Sachsen-Anhalts mag hier die Teufelsmauer als Beispiel dienen. Die Felsenkette wurde bereits 1833 und nochmals 1852 zum einen als Kuriosum der Natur und zum anderen als Hintergrund einer Heimatsage unter Schutz gestellt. Auch Heines Heimatbild „mit seinen Eichen, seinen Linden“ ist stilisierte deutsche Natur. Die Eiche als Sinnbild deutschen Heldenmutes diente später den Nationalsozialisten für ihre Heimatpropaganda.1 Das im Dritten Reich manifestierte Bild vom Deutschen und seiner Heimat führte 1935 zum einen zu den Nürnberger Rassegesetzen. Zum anderen wurde im selben Jahr das Reichsnaturschutzgesetz verabschiedet, das frühere Überlegungen zum Naturschutz mit nationalsozialistischer Ideologie vermengte.2
Nach dem Krieg knüpften beide deutschen Staaten an das Naturschutzgesetz des Dritten Reichs an. Naturschutz in der DDR entsprach auch nach Erlass eines eigenen Gesetzes (1954)3 dem Geist seiner Vorläufer. Naturschutz lieferte abermals das Identifikationsschema für die Utopie einer Heimat und wurde zugleich nicht praktiziert, wenn er den Anforderungen der Industrie und des Bergbaus im Weg stand.4
In der BRD galt das Reichsnaturschutzgesetz, bis auf das Eigentum betreffende grundgesetzwidrige Abschnitte, als Landesrecht fort. Es wurde aufgrund seines Anliegens und seiner Regelungen nicht als Gesetz nationalsozialistischer Weltanschauung eingestuft.5
Einzelne Bundesländer erließen Anfang der 1970er Jahre anstelle des Reichsnaturschutzgesetzes neue, eigene Landesnaturschutzgesetze. Erst das 1976 begründete Bundesnaturschutzgesetz stellte den Rahmen für die Naturschutzgesetzgebung in der BRD. Dieses wurde schließlich im Jahre 2002 durch eine Neuverkündung abgelöst.
Ein neuer Begriff:
In den Jahren des Wiederaufbaus in Europa nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges war stets vom Aufschwung und vom Wirtschaftswunder die Rede. Zu Beginn der 1970er Jahre fand diesbezüglich jedoch ein grundlegender Paradigmenwechsel statt, erstmals war von den Grenzen des Wachstums (The Limits to Growth, THE CLUB OF ROME, 1972) die Rede, zugleich wurde die Endlichkeit von Ressourcen thematisiert (Erste Ölkrise, 1973). Parallel dazu brachte die sozial-liberale Regierung der BRD (1969-1984) den Begriff „Umweltschutz“ in eine innenpolitische Debatte über Natur und Ressourcenschutz ein, dies erfolgte in direkter Ableitung aus der Umweltgesetzgebung der USA (National Environmental Protection Act, 1969). Der Begriff „Naturschutz“ wurde durch den universellen Begriff „Umweltschutz“ ersetzt. Der Gedanke an irgendeine Heimat spielte für eine erforderliche internationale Rechtsangleichung kaum mehr eine Rolle. Gleichwohl ist der Begriff „Umwelt“ umfassender, so schließt er zum Beispiel den Schutz von Atmosphäre und Klima mit ein.
Die oben geschilderte Vorstellung einer Endlichkeit von Wachstum und Ressourcen führte zu einem grundlegenden Wertewandel und zu einer neuen sozialen Bewegung in den westlichen Industrie-nationen. In der Zeit zwischen 1970 und 1980 entwickelte sich aus einzelnen Umweltinitiativen eine Umweltbewegung, die in der BRD 1980 zur Parteigründung der Grünen führte. Abgesehen von couragierten Äußerungen einzelner Wissenschaftler und lokalen Initiativen von Umweltaktivisten konnte sich im Ostteil Deutschlands systembedingt keine vergleichbare Umweltbewegung entwickeln. Dennoch: Umweltschutz war ein zentrales Anliegen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Der Umweltschutz in Ostdeutschland erlebte im Moment des Zusammenbruchs der DDR seinen größten Erfolg.
Windpark am Saaletal, Blick von Dobis, © Werkleitz 2011
Probleme:
Obwohl Umwelt- und Naturschutz scheinbar nicht voneinander zu trennen sind, sondern sich vielmehr aufeinander beziehen, kommt es dennoch zu Konflikten zwischen global formulierten Vorsätzen des Umweltschutzes und lokalen Ansprüchen des Naturschutzes, insbesondere des Landschaftsschutzes.
Während beispielsweise Windräder als Lieferant erneuerbarer Energie dem Umweltschutz dienen, können dieselben dem Naturschutz ein erheblicher Dorn im Auge sein. Neben Bedenken seitens des Vogelschutzes sind hier insbesondere Aspekte des Landschafts- und Heimatschutzes betroffen. Windparks können unserer Vorstellung von Landschaft widersprechen, indem sie den Blick auf Fluren und Felder verstellen. Am Beispiel des Rohstoffes Holz zeigt sich wiederum, dass sich dieser im Sinne des Umweltschutzes zwar als nachwachsender Rohstoff zur alternativen Energieerzeugung eignet, andererseits sind forstwirtschaftliche Eingriffe, wie die maschinengerechte Parzellierung des Waldes, Eingriffe in die Natur und Landschaft. Dem entgegen kann die aus landwirtschaftlicher Sicht unwirtschaftliche Beweidung von Magerrasenflächen dem Erhalt historischer Weideflächen dienen und somit die Artenvielfalt sichern, obgleich hier eine natürliche Fortentwicklung der Fläche ausgeschlossen wird. Ein weiteres Beispiel für den oben genannten Konflikt ist der Anbau von Biospritpflanzen, der vom Umweltschutz mit Einschränkungen protegiert wird, jedoch traditionelle Feldfrüchte von unseren Äckern verdrängt und somit aus Sicht des Naturschutzes bedenklich ist.
Der Vorzug bestimmter vegetativer Kulturen führt nämlich neben der Veränderung unseres Landschaftsbildes zur Einschränkung der Artenvielfalt. Der hier geschilderte lokale Konflikt ist indes von einer globalen Kontroverse überschattet, die in der aktuell gestellten Frage: „Tank oder Teller?“,6 ihre höchste Zuspitzung findet.
Ursprünglichkeit als Utopie:
Der im Zusammenhang von Rousseaus Zivilisationskritik bekannte Aufruf „Zurück zur Natur“ ist eine Parole der Aufklärung, sie nimmt dennoch die Sehnsucht einer vornehmlich deutschen Romantik vorweg,7 welche eben gerade auch als eine frühe Form der ideologischen Flucht vor den Überforderungen durch die einsetzende Industrialisierung verstanden werden kann. Folgen wir dem dort formulierten Wunsch nach Rückkehr zur Natur, so führt uns dieser in letzter Konsequenz zum Traum von paradiesischer Ursprünglichkeit. Diese Ursprünglichkeit von Natur liegt vor dem Sündenfall, und in der Tat werden sowohl der Sündenfall als auch die Ächtung Kains als Moment des Beginns von Ackerbau und der Domestizierung von Tieren interpretiert. In diesem Moment liegt zumindest biblisch die unaufhörliche Prägung von Natur durch den Menschen begründet. Ähnlich der immerwährenden Utopie vom Paradies sind in der Romantik Unheil und Abgründe nah, während sich in unendlicher Ferne das Bild vom verlorenen Ursprung der Natur zum Ideal verklärt.
Natur als Märchen:
Die Brüder Grimm fassten mündliche Überlieferung in Schrift, als die Orte ihrer Erzähler durch die Industrialisierung bereits in Auflösung begriffen waren. Was Grimms Märchen neben ihrer Salonfähigkeit außerdem Popularität verschaffte, war der Umstand, dass die Heimat gerade von Napoleon besetzt war. Auch das Sammeln von Volksmärchen war vom Verlust getrieben.
Heute lesen wir in den Märchen nicht nur von Gewerken und Ständen, sondern auch von Tieren, welche uns längst fremd sind. Ihre Faszination bleibt dennoch ungebrochen. Aber meinen wir mit Wald einen Märchenwald, den Hänsel und Gretel vom Reisig sauber halten, oder den Naturschutzwald, in dem jeder gestürzte Baum als Habitat für Kleintiere verbleiben soll? Hat uns ein von Hand aufgezogener Klapperstorch in die Kinderwiege gelegt, und ist die Rückkehr des Wolfs gelitten, wenn Rotkäppchen als Gutenachtgeschichte dient? Wenn der gestiefelte Kater im Märchenbuch Wiesen, Felder und Wald abschreitet, malen wir uns eine Idylle, bestehend aus Äckern verschiedener Früchte, weidendem Vieh und hohem Wald. Zugleich zeichnet jede Vorstellung des archetypischen Dorfes eine von Landflucht unbetroffene Siedlung, deren Ensemble bäuerlicher Wirtschaftsbauten an ein Freiluftmuseum erinnert.
Zoo-Natur:
Zoologische Gärten sind zunehmend bemüht, ihre Tiere in einer imaginierten landschaftlichen Kulisse „wirklicher“ Natur zu zeigen. Dies erfordert den Grat an Kreativität, der gemeinhin die Lücke zwischen einer artgerechten Haltung der Tiere und der Unterhaltung der Zoobesucher schließen muss.
Was uns außerhalb des Zoos an Anschaulichem erwartet, verraten uns touristische Informationsseiten der Nationalparks und Biosphärenreservate. Unweit vom Natureum beim Darßer Ort führt ein Rundwanderweg durch die Dünen und „erlaubt (…) interessante Einblicke in die verborgenen Orte des Nationalparks“.8 Die Tourismus Gesellschaft Thüringens lädt uns ein ins Vessertal und fordert uns auf: „Entdecken Sie den Wald des Schwarzspechts oder erfahren Sie, wo einst der Köhler lebte.“9 Die Verwaltung des Naturparks Harz beschreibt uns eine „sagenhafte Bergwildnis“ und bittet uns um Luchshinweise.10 Wir befinden uns im Zoo, und allerlei Tiere werden uns vorgestellt, einige von ihnen sind erst neuerdings wieder heimisch. Der Eurasische Luchs wurde 2000 im Naturpark Harz wieder angesiedelt, lange nachdem er in Mitteleuropa als ausgestorben galt. Mit vergleichbarem Enthusiasmus wie in zoologischen Gärten wird schon längst in der Landschaft Artenschutz betrieben. Von freier Wildbahn kann nicht in jedem Fall die Rede sein,11 der Europäische Biber im Biosphärenreservat Flusslandschaft Mittlere Elbe, im letzten Jahrhundert auch hier nur noch in geringer Population vertreten, wird bis heute durch Einfriedungen seines Habitats geschützt. Der Bestand der unter anderem im Naturschutzgebiet Havelländisches Luch beheimateten Großtrappe ist so prekär, dass unlängst der Abschuss eines Vogels in Sachsen-Anhalt zur Anzeige beim zuständigen Ministerium führte. Emotionen sind hierbei verständlich. Anhaltend müssen von Hand aufgezogene Jungtiere ausgewildert werden. Beobachtungstürme, Beobachtungsanlagen und Aussichtspunkte verweisen ähnlich wie das Schild am Zoogehege auf die Latenz des Tieres. Von einem eigens als Vogelwarte aufgeworfenen Hügel am Rande des Neolith-Teiches bei Köthen nahe der Elbe kann der Vogelfreund mit seinem Glas in der Dämmerung die Ankunft der Vogelzuggäste erwarten. Der Teich ist Vogelzugrastgewässer und ehemalige Braunkohlengrube. Eingehegte Landschaft, gefütterte Tiere und beschildertes Terrain – die Unterschiede zwischen Natur und Zoo scheinen zu verschwimmen.
Gehege:
Passieren wir die Grenze zu einem Reservat oder Schutzgebiet, werden wir über Hinweisschilder zu einem besonderen Verhalten aufgefordert: Verlassen Sie nicht die Wege! Nehmen Sie nichts mit! Dies sind die deutlichsten Regeln. Sämtliche Areale, in denen Natur und Landschaft unter Schutz stehen, sind als solche ausgezeichnet, räumlich festgelegt und von entsprechenden Markierungen umgeben, es sind Gehege, in denen besonderes Recht gilt. Hierbei gelten unterschiedliche Verbindlichkeiten und Ziele. Biosphärenreservate sollen den Erhalt von Kulturlandschaften sichern, auch die Wiederherstellung einer historischen Kulturlandschaft ist eine weitere Option. Die Schonung von Naturgütern und der besondere Schutz von Kerngebieten sind ebenfalls in den Zielen festgeschrieben, dennoch kommt die Möglichkeit der Weiterentwicklung eines Biosphärenreservates hinzu. Diese garantiert Prozessoffenheit, oftmals auch mit Rücksicht auf einen auszuweitenden Tourismus. Totalreservate hingegen unterliegen dem Prozessschutz, das heißt, natürliche Prozesse werden nicht vom Menschen gesteuert, hierbei geht es nicht um das Erreichen, das Erhalten oder gar das Wiederherstellen eines Zustandes. Auch hier ist Prozessoffenheit Voraussetzung, allerdings ohne eine anthropogene Steuerung. Im weitesten Sinne einer Wiederherstellung kann jedoch eine vormals genutzte Fläche über eine Nachfolge durch Unterlassung zu naturnäheren Stadien geführt werden. Naturschutz im Allgemeinen vereint eine Reihe von Flächenschutzbestimmungen sowie den Schutz von Monumenten. Ausgewiesene Naturschutzgebiete sollen den Erhalt und die Entwicklung von Biotopen und Lebensgemeinschaften bestimmter Arten sichern oder die Wiederherstellung ihrer Lebensräume ermöglichen. Naturwissenschaft und Landeskunde sowie Eigenart, Seltenheit und hervorragende Schönheit können Grundlage für Unterschutzstellungen sein. Die Frage einer Weiterentwicklung und die Frage, wieviel Tourismus verträgt die Natur, sind von Belang. Sie lassen sich leider nicht so einfach beantworten, wie ein Zoo Schließzeiten zur Ruhe der Tiere verordnen kann. Die Situation, in der wir, wie im Fall eines Totalreservates, tatenlos zusehen sollen, fordert unser Selbstverständnis heraus, die Wiederherstellung historischer Naturräume hingegen führt zur Musealisierung der Landschaft.
Schönheit der Kreatur:
Die Popularität der schielenden Beutelratte Heidi ist sicherlich ähnlich kurzlebig wie die des kleinen Eisbären Knut. Auch wenn einst geliebte Schaukelpferde längst durch Bobbycars Ersatz fanden, werden andere Eindrücke von Kreaturen über Generationen weitergegeben. Unser gemeinhin unterkühltes Verhältnis zu Rabenvögeln hat weniger mit Hitchcock zu tun, als vielmehr mit einem älteren, wiewohl traumatischen Bild, in dem Aasfresser Menschenleichen ausweiden. „Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben …“, so lautet der bekannte Kinderreim vom Hoppereiter. Das Bild des Galgenvogels dürfte sich infolge von Kriegen und Epidemien manifestiert haben. Ein ebenfalls düsteres Bild ist das des toten Baumes. In einer Studie sucht der Leiter des Sachgebiets Forschung des Nationalparks Bayrischer Wald, Dr. Heinrich Rall, Gründe für den Widerstand gegen Totalreservate. Bezüglich hervorragender Schönheit finden wir in seiner Internetpublikation folgende Passage: „Das (…) weithin sichtbare Bild toter Baumskelette ruft bei den meisten Betrachtern emotionale Betroffenheit hervor.“12 Liegendes Totholz hinterlässt der Studie zufolge geringeren Schrecken.
Entscheidung:
Naturschutz steht vor der paradoxen Aufgabe, eine verloren gegangene Natur zu bewahren, oder vor der nur scheinbar leichteren Aufgabe, Natur wiederherzustellen. Beide Aufgaben bedürfen einer Einigung auf eine bestimmte Natur oder besser: auf einen bestimmten Zeitpunkt und ein mit ihm verknüpftes Naturbild. Hier liegt das Problem des Naturschutzes, die Gefahr seiner Unglaubwürdigkeit gründet sich in der oben benannten Paradoxie.13 Es sei die Assoziation zum Denkmalschutz gestattet. Wir lernen Natur als Heimat kennen und somit als etwas Historisches, Naturschutz ist stets auch der Erhalt des Denkmals – es gelten die gleichen Probleme: Jeder Restaurator muss bei denkmalgerechter Sanierung einer historischen Deckenmalerei sehr wohl überlegen, welche Farbschicht er erhalten oder freilegen will, zumal er die darüber liegenden Schichten unwiederbringlich zerstört. Noch direkter ist der Vergleich zwischen einem Naturschutzgebiet und den verschiedenen Baustufen eines Hauses, aus denen irgendein historisches Gesamtbild in Erscheinung treten soll. Welchem zeitlichen Abschnitt wollen wir huldigen, wenn wir wissen, Ursprünglichkeit wird ohnehin nicht zu erreichen sein?
Franzigmark, Steinbruch am Saaleufer, © Werkleitz 2011
Exkursion:
Der Titel der Exkursion Kulturlandschaft als ZOO-Natur ist eine These. Die hierin gestellte Analogie zwischen Kulturlandschaft und einer Natur, wie sie uns aus dem Zoo bekannt ist, versucht Momente der Imagination von Natur außerhalb des Zoos – draußen in der Landschaft – hervorzuheben. Die Exkursion14 führt durch das Untere Saaletal zwischen der Franzigmark bei Halle und dem Dorf Dobis flussabwärts der Stadt Wettin. Auf der Route entlang der Saale sind zahlreiche Zeugnisse verschiedener historischer Bewirtschaftungen sichtbar, die einst das Bild dieser Kulturlandschaft prägten. Zu ihnen gehören Steinbrüche, Halden, Triften, Bahndämme, wüstliegende Gehöfte und infolge von Begradigungen verlandete Flusswindungen der Saale. Die hier aufgezählten Orte sind, ebenso wie die Reste von Obstwiesen, brachliegenden Weiden und Meliorationsgewässern auf dem Hochufer der Saale, längst wieder zu Naturräumen geworden. Allein die stetige Veränderung ökonomischer Verhältnisse, aber auch die Ausschöpfung von Ressourcen führte insbesondere im letzten Jahrhundert zu einem Rückgang der Bewirtschaftung. Aus Teilen einer einst kultivierten Landschaft wurde Wildnis, und seit einigen Jahren ist man in den Naturschutzgebieten entlang der Saale bemüht, einen Teil dieser Wildnis wieder zu einer Landschaft zu formen, so wie sie einmal war. Das Faksimile eines historischen Stiches auf einer der Informationstafeln des Naturschutzgebietes Franzigmark zeigt die arkadische Idylle. Schafe weiden auf den Porphyrfelsen über dem Fluss, im Bildhintergrund steht, „an der Saale hellem Strande“, die Burg der Wettiner. Malerisch läuft heute und scheinbar wie eh und je der Fluss durch das Tal. Doch erstmals werden Schafe nicht aufgrund ihres Ertrages durch das Land getrieben, sondern allein, um das Bild dieser Landschaft zu erhalten. Der ideelle Wert einer Landschaft mag von jeher von Bedeutung gewesen sein, die ökonomische Entscheidung, diese zu erhalten, ist jedoch neu. Wie hat sich die Kulturlandschaft in unserer Umgebung entwickelt, welche Erwartungen knüpfen wir an ihre Erhaltung, welches Bild wollen wir in ihr wiedererkennen, und welches Tier oder welche Pflanze soll sie beheimaten? Diesen Fragen ist die Exkursion Kulturlandschaft als ZOO-Natur gewidmet.
1Der Gedanke einer Korrelation zwischen Landschaft und Nationalismus mag in zweierlei Hinsicht zutreffend sein. Einerseits im Rekurs auf eine historische Landschaft mit ihren lokal zu verortenden, identitätsstiftenden Merkmalen (Teufelsmauer), die in höheren Abstraktionsgraden zu nationalen Symbolen werden (Eiche). Andererseits im Wunsch nach der Überwindung der Natur als Interesse einer Gemeinschaft. Autoren wie David Blackbourn machen deutlich, dass gerade die bewusste Veränderung und Umformung der Natur stets auch eine repräsentative Maßnahme war, um Nationalismen zu stärken und zu befördern.
Vgl. David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München 2007, S.147-377.
2Nachstehender Auszug aus der Präambel des Reichsnaturschutzgesetzes lässt hierfür keinen Zweifel zu: „Der um die Jahrhundertwende entstandenen‚Naturdenkmalpflege‘ konnten nur Teilerfolge beschieden sein, weil wesentliche Voraussetzungen fehlten; erst die Umgestaltung des deutschen Menschen schuf die Vorbedingungen für wirksamen Naturschutz.“
H. Klose, A. Vollbach, Das Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935. 1936, S. 15.
Prof. Dr. Ernst-Rainer Hönes verweist in seinem Artikel 70 Jahre Reichsnaturschutzgesetz auf die Präambel des Reichsnaturschutzgesetzes und kommt zu dem Fazit: „Naturschutz war somit keineswegs nur Sacharbeit.“
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.), Denkmalschutz-Informationen 2/2005. Bonn 2005, S.83.
3 Ein Vermerk zum Außerkrafttreten des Reichsnaturschutzgesetzes aus dem Naturschutzgesetz der DDR ist zu finden unter: Eduard Klinz (Hg.), Gesetze für den Handgebrauch im Naturschutz. I. Band. 1957, S.19.
4Siehe hier: § 15, Aufhebung von Schutzanordnungen, (1) Schutzanordnungen gemäß §§ 1 bis 5, deren Aufrechterhaltung nicht mehr gerechtfertigt oder aus überwiegenden volkswirtschaftlichen Gründen nicht mehr zu vertreten ist, sind aufzuheben.
In: Eduard Klinz (Hg.), Gesetze für den Handgebrauch im Naturschutz. I. Band. 1957, S.16.
5 Vgl. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: NJW 55, S.1204; NJW 56, S. 1369.
Karl-Wilhelm Nellessen hält diese Entscheidung für plausibel, da sie „sich aus der Entstehungsgeschichte nachvollziehen lässt“.
Karl-Wilhelm Nellessen, Umweltschutz als kommunale Aufgabe, Naturschutz und Landschaftspflege im Kreise Aachen 1816-2004. Köln 2007, S. 79.
Ob Karl-Wilhelm Nellessen mit dem Verweis auf die Enstehungsgeschichte der Naturschutzgesetzgebung auch den Beitrag Benno Wolfs meint, bleibt leider ungewiss, auch wenn er Benno Wolf mehrfach zitiert. Benno Wolf war ab 1915 -1933 Justitiar derStaatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen, er wurde1943 im Konzentrationslager Thersienstadt ermordet.
6 Diese Redewendung fand in der medialen Auseinandersetzung große Verbreitung. Exemplarisch hierfür ein Kommentar von Dagmar Dehmer in der Online Ausgabe der Zeit: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-12/klimawandel-biosprit-biomasse/komplettansicht (Stand: 13. September 2011)
7 Die Rousseau schon zeitlebens angedichtete Aussage spiegelt zumindest den oben beschriebenen aufklärerischen Zeitgeist wider. Siehe hierzu auch: Dieter Sturma, Jean-Jacques Rousseau, München 2001, S.54f.
8 Natureum Darßer Ort: http://www.ostsee.de/fischland-darss-zingst/natureum-darsser-ort.html (Stand: 03. März 2011)
9 Biosphärenreservat Vessertal: http://www.thueringen-tourismus.de/urlaub-hotel-reisen/unesco-biosphaerenreservat-vessertal-121315.html (Stand: 13.September.2011)
10Naturpark Harz:http://www.nationalpark-harz.de/de/naturschuetzen/?refTID=499&...(Stand: 03. März 2011)
11Nicht nur die Einhegung, auch die Ausgrenzung von Tieren stellt die freie Wildbahn infrage. Die Anwesenheit des Wolfes ist vom Gesetzgeber geduldet, von seinem Vorkommen betroffene Lokalpolitiker sehen dies anders: „‚Ich persönlich habe nichts gegen die Wölfe‘, sagt der Bürgermeister.‚Soll er doch da leben, wo es gut für ihn ist. In Naturschutzparks oder in unbewohnten Gebieten. Aber eben nicht bei uns. Wir sind eine Kulturlandschaft, kein Wildzoo.‘“
Bürgermeister Helmut Limbrunner, Bayrischzell. In: Wo ist der Wolf. Süddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 20, 20. Mai 2011, S.19.
12 Zur Akzeptanz von Totalreservaten in der Öffentlichkeit – Erfahrungen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald: http://www.waldwildnis.de/cd/archiv/rall/h_rall.htm(Stand: 03. März 2011)
13„…in einer Landschaft, in der jede Ruine bis auf den letzten Ziegel festzementiert und mit Parkplatz und DIN-normierten Geländern versehen ist, hätten wohl weder Shelly noch Caspar David Friedrich viel Inspiration gefunden. Es ist ja gerade das Wissen, dass die Ruine im Zerfall begriffen ist, die sie mit unserer Gegenwart verbindet. Wenn wir diese Verbindung nicht wieder finden, bleibt der Ausgang aus dem Museum unserer Kultur fest verschlossen.“
Philipp Blom, Napoleons Gardinen und der Mut zur Vergänglichkeit. In: Matthias Götz (Hg.), Villa Paragone. Thesen zum Ausstellen. Nr. 19 der Schriftenreihe Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle, Basel 2008, S. 189.
14 Link zur Exkursion: http://zoo.werkleitz.de/exkursion/ (Stand: 13. September 2011)