Creature Comfort

Sonntag
16.10.2011
16:00

Zoologische Gärten gehören weltweit zu den beliebtesten Freizeitstätten. Hervorgegangen aus den königlichen Menagerien und während der Französischen Revolution im Pariser Jardin des Plantes, dem Urbild aller Zoos, in eine Volksbildungsstätte verwandelt, blieben sie immer auch Präsentationsorte der Macht. Wenn eine Wochenschau aus dem Jahr 1910 Kaiser Wilhelm im Tierpark Hagenbeck zeigt, wie er Paviane füttert, erzählt sie davon. Der Wille zur Aneignung und Beherrschung der Natur führte das Wilde, Exotische in den Zoos der Metropolen der Kolonialmächte hinter Gittern vor. Die so näher gekommenen wilden Tiere schärften aber auch den Blick für deren Bedürfnisse. Zoos brachten dadurch von Anfang an die Kritik am Zoo mit hervor. Creature Comforts, ein oscarprämierter Animationsfilm von Nick Park, kann dafür als Paradebeispiel gelten. Park lässt in Interviews Tiere aus einem englischen Zoo – einen Löwen, einen Gorilla und eine Schildkröte zum Beispiel – ihre Situation schildern. Es geht in den Antworten der Tiere immer um einen Vergleich zwischen dem Leben im Zoo und im Freien. Manches ist besser im Zoo als draußen, anderes schlechter, wie das Wetter in England zum Beispiel. Der Kernpunkt aber ist der Platz. „We need space“, sagt der Löwe nicht nur einmal sehr eindringlich. Daran wird kein Zoo je etwas ändern können, denn Zoos werden nie den Platz haben, der es ihnen ermöglicht, Tiere mit riesigen Territorien, wie sie Eisbären im Freien nutzen, „artgerecht“ zu halten. Anders sieht das mit dem sozialen Raum aus. Wenn für viele in Gruppen lebende Tiere, wie Pinguine oder die meisten Affenarten, das Soziale wichtiger ist als der große oder kleine Käfig, das heißt, dass die Tiere, die zusammenleben, zueinander passen bzw. die Möglichkeit haben, sich ihre Partner selbst auszusuchen, dann sind angemessene Haltungsformen auch im Zoo möglich. Die Fortschritte der Verhaltensforschung haben es durch die sozial den Tieren angemessene Haltung in vielen Fällen ermöglicht, regelrechte Zoopopulationen „aufzubauen“, die in seltenen Fällen die freilebenden Populationen an Zahl übertreffen.
Der Zoo ist so längst zu einem „eigenen“ Biotop geworden, das sich aus sich selbst heraus entwickelt. Filme wie Tiere ohne Feind und Furcht von Bernhard & Michael Grzimek und Das Paradies der Tiere von Rita Arendt zeigen es und tragen im Programm die Zeichen dieser Welt bereits im Titel. Zoos sind gerade über die Auseinandersetzung mit den Haltungsbedingungen im Freiland immer seltener werdender Tiere zu Zentren der Forschung um die Erhaltung bedrohter Arten geworden. Wobei solche Forschungen natürlich nutzlos sind oder zum reinen Selbstzweck werden, wenn sie nicht nach „außen“, in den aktiven Naturschutz und damit auch an das Zoopublikum vermittelt werden. Ein Punkt, mit dem sich Zoos immer noch schwer tun. Die wenigen Forschungen, die es zum Verhalten der menschlichen Zoobesucher gibt, sind ernüchternd. Der durchschnittliche Aufenthalt eines Zoobesuchers vor einem bestimmten Tier liegt zwischen ein bis zwei Minuten, und von den oft sehr gut informierenden Texttafeln lesen über neunzig Prozent der Besucher kaum den ersten Satz zu Ende. Die Künstlergruppe Neozoon Collective hat dazu mit ihrer Aktion Das Manteltier, in der sie mechanisch bewegte Pelzmäntel in einem Käfig im Münsteraner Zoo ausstellte, beeindruckendes filmisches Material gesammelt. Der immanente Widerspruch des Zoos bleibt sein Spagat zwischen dem Spektakel, das der Zoo für den zahlenden Besucher ist und das er von Anfang an bedient, und seiner Arbeit an und mit den Tieren. Allerdings muss das Spektakel der Besucher für die Tiere nicht unbedingt schlecht sein. Joanna Rytels Monkey Performance, bei der die Künstlerin vor einer Affengruppe hinter Glas strippt, wird von den Tieren eher als willkommene Abwechslung wahrgenommen, denn als Belästigung.

Filmprogramm

  • Aus alten Wochenschauen – Kaiser Wilhelm im Tierpark Hagenbeck, Wochenschau, DE 1910, 2 min (Ausschnitt); Archiv Bundesarchiv-Filmarchiv
  • Australischer Raubbeutler (Dasyuridae) – Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus), Heinz F. Moeller, DE 1978 (1930), 3 min (Ausschnitt); Archiv Bundesarchiv-Filmarchiv
  • Tiere ohne Feind und Furcht, Bernhard & Michael Grzimek, DE 1953, 11 min
  • Das Paradies der Tiere, Rita Arendt, DDR 1965, 17 min; Progress Film-Verleih
  • Wildschweingeschichten – Emil im Zoo, Heinz Meynhardt, DDR 1981, 14 min; Aus dem Deutschen Rundfunkarchiv. Mit freundlicher Genehmigung von Margot Meynhardt.
  • Leibliches Wohl, Nick Park, UK 1989, 5 min
  • Monkey Performance, Joanna Rytel, SE 2002, 3 min
  • Das Manteltier, Neozoon Collective, DE 2010, 3 min

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