Werkleitz Festival 2008

Amerika

Freitag
24.
 
 
Sonntag
26.10.2008

82.369.548 AMERIKAs

82.369.548 Deutsche soll es im Juli 2008 gegeben haben. Geschätzt von der CIA. Auf den Einwohner genau. Genauso viele Bilder von Amerika dürfte es in Deutschland geben – abzüglich derer, die noch gar nicht wissen, dass es so etwas wie Amerika gibt. So übergenau die Schätzung der Deutschen, so unscharf ist der Titel für unser Festival: AMERIKA. Offiziell ein Kontinent, im allgemeinen Sprachgebrauch die USA, in den Köpfen der Menschen ein Mythos. Und um diesen geht es. Thema des Werkleitz Festivals ist nicht Amerika, sondern das Bild, welches wir uns davon machen. Für Deutschland spielt Amerika eine besondere Rolle, da die Deutschen im 20. Jahrhundert nicht in der Lage waren, ihre Despoten in den Griff zu bekommen: Die Abdankung des Kaisers 1918, die westdeutsche Demokratie ab 1945 und schließlich der Zusammenbruch des Ostblocks einschließlich der DDR, hinter alldem standen die USA als treibende Kraft. Der Fokus des Festivals liegt auf der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sich hier der Einfluss Amerikas teilte. In Westdeutschland, als Besatzungsmacht, war er sehr direkt. Re-education, Jazz, Marshall-Plan, Luftbrücke, Wiederbewaffnung, Rock’n’Roll, Jeans, NATO, Hippies, Sit-ins, Disco, Gender-Studies, Rap, PC (sowohl Personal Computer als auch Political Correctness) und über allem Hollywood: Die Liste der Einflüsse ließe sich endlos fortsetzen. In Ostdeutschland war der Einfluss differenzierter, offiziell waren die USA der kapitalistische Feind schlechthin, inoffiziell wurden sie wahrscheinlich mehr bewundert als im Westen. Nach dem Fall der Mauer, mit Globalisierung, Internet und der endgültigen Etablierung des Englischen als Lingua Franca, nahm die amerikanische Hegemonie in der Welt beeindruckende Ausmaße an, um dann in der Folge von Kyoto, Irak, Abu Ghraib und Guantanamo einem breiten Antiamerikanismus Platz zu machen. Jedoch können und wollen wir die geostrategischen Verhältnisse im Rahmen unseres Festivals nicht nachzeichnen, auch wird dazu genug geschrieben. Wie immer in unseren Festivals, geht es uns um den spezifischen, den anderen Blick von Kunst und Kultur auf gesellschaftliche Verhältnisse. Beim Lesen der Katalogbeiträge fällt auf, dass die meisten von ihnen sehr subjektive Blicke auf Amerika werfen, eine Tendenz, die sich auch in den künstlerischen Arbeiten fortsetzt. Amerika erscheint hier weniger als politisches, vielmehr als mediales Gebilde, nicht als reale, sondern imaginäre Landschaft. Wenn Baudrillard schreibt, dass Disneyland eigentlich dazu da sei zu verdecken, dass ganz Amerika inzwischen ein einziges Disneyland sei, was ist dann das Bild von Amerika, das hier in Deutschland ankommt? Und was sind dann die Projektionen der Deutschen auf Amerika, die ja wiederum eine Reaktion auf das übermittelte „Disneyland“ sind? Was bedeutet es für ein Land, wenn es seine Mythen, seine Träume, seine Rebellionen von einem anderen fernen Land auszuleihen scheint? Spielt das reale Amerika in diesem Spiegelkabinett der Projektionen überhaupt noch eine Rolle?

In der Konzeption des Festivals sind wir als Kuratoren von der Differenz unserer eigenen Biografien ausgegangen, Daniel Herrmann aus dem Osten, Marcel Schwierin aus dem Westen. Wir haben mit Claus Löser und Philipp Gassert Autoren aus Ost- und Westdeutschland eingeladen, mit Ray Langenbach einen amerikanischen Künstler, der seine Heimat zu verlassen suchte, um ein anderes Bild von ihr zu gewinnen, und mit dem indischen Kritiker Girish Shahane einen Autor, der nicht die abendländische Perspektive teilt, die alle anderen Autoren verbindet.

Mit Filmprogramm und Forum setzen wir weiterhin einen dualen Fokus:

Das Filmprogramm verdichtet in drei Tagen mehr als ein Jahrhundert Filmgeschichte. Amerika wird dabei sowohl von außen als auch von innen betrachtet, wobei gerade bei den amerikanischen Beiträgen die Vielschichtigkeit – oder Zerrissenheit – Amerikas deutlich wird. Aber auch der Blick zurück wird thematisiert mit Amerikanern, die Deutschland filmen.

Das Forum dagegen ist am Standort des Festivals, in Halle, und in der Gegenwart lokalisiert. In vielfältigen Kooperationen mit Hallenser Hochschulen, Ausstellungsorten und Medien geht es um die Zeichen und Spuren Amerikas in der Stadt. Ein umfangreiches Vorabprogramm erweitert den zeitlichen Rahmen des Festivals und in den Workshops wird vor allem eine sehr junge Generation nach ihren Amerikabildern befragt. Mit der skulpturalen Installation erikaLand, eigens für das Festival entwickelt, wird der Standort von Werkleitz zu seinem eigenen Disneyland.

Gibt es nach langer und intensiver Beschäftigung mit Amerika eigentlich so etwas wie ein vorläufiges Ergebnis, eine Zwischenbilanz schon vor dem Festival? Überrascht hat uns vor allem die Vielfältigkeit und Komplexität der Amerikabilder, von denen jeder mehrere in sich zu tragen scheint. Bewunderung und Ablehnung durchdringen sich dabei, ebenso wie reale und mediale Erfahrung. Amerika hat sich mit Revolution und Unabhängigkeit zu einem Modellfall der Moderne entwickelt und scheint diese Rolle zumindest für Deutschland noch immer zu haben, im Positiven wie im Negativen. Wir hoffen, dass die in Werken geronnene Verdichtung dieser Bilder während des Festivals auf die vielen Amerikabilder trifft, die Künstler und Besucher mitbringen werden, und dass dabei eine fruchtbare Auseinandersetzung entsteht, über Amerika wie über uns selbst.

Daniel Herrmann und Marcel Schwierin
Halle / Berlin

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